Technologien im Verbund
„Wir erfahren früh, wo Lücken entstehen“
“Ich bin bestürzt über eine Politik, die Fortschritt ausbremst." Dr. Manfred Hudetz
Syngenta bietet Pflanzenschutz und Saatgut aus einer Hand. Diese Kombination unter Nutzung digitaler Technologien eröffnet nach Einschätzung der deutschen Organisationen große Chancen. Damit Landwirte profitieren, muss sich aber auch die Politik bewegen.
agrarzeitung: Herr Dr. Hudetz, welche Impulse erhält Ihre Pflanzenschutzentwicklung von den Kolleginnen und Kollegen aus der Züchtung? Manfred Hudetz: Für Syngenta ist es ein großer Vorteil, dass beide Bereiche in einem Unternehmen sind. Wir finden sehr früh Antworten auf die Frage: Wofür brauche ich Züchtung, wofür nach wie vor Pflanzenschutz? Wir berücksichtigen ebenfalls in frühen Stadien der Entwicklung die Interaktion von Sorte, Düngung und Pflanzenschutzmitteln. Fortschritte der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz stellen uns hierfür eine Fülle von Informationen und Entscheidungshilfen bereit, um Landwirten eine zielgenaue Sorten- und Pflanzenschutzempfehlung geben zu können.
Frau Dr. Köhler, wie erleben Sie die Zusammenarbeit? Heike Köhler: Auch ich erlebe es als Glücksfall, dass wir die Expertise im Pflanzenschutz quasi ‚next door‘ haben. Dadurch erfahren wir doch auch sehr früh, wo Lücken bei den Wirkstoffen entstehen, für die wir mit Priorität züchterische Lösungen suchen müssen. Und wir müssen immer schneller reagieren. Wir brauchen Lösungen, einfach um die Nahrungsmittelproduktion sicherzustellen. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, wie wichtig die modernen Züchtungstechnologien wären, um hier schneller voranzukommen. Ich wünsche mir sehr, dass wir sie auch in Europa nutzen können, ohne solche Eingriffe als Gentechnik kennzeichnen zu müssen.
Welches sind die wichtigsten Treiber für den Pflanzenschutzmarkt? Manfred Hudetz: Es gibt gesellschaftliche Erwartungen, dass wir die Landwirtschaft und insbesondere den Pflanzenschutz auf einer breiteren Basis organisieren. Das bedeutet, dass wir eine Entwicklung hin zu einer Integration von Werkzeugen wie guter landwirtschaftlicher Praxis, Werkzeugen wie digitalen Entscheidungshilfen, biologischen und chemischen Lösungen sehen. Indem wir eine solche Toolbox anbieten, helfen wir Landwirten, die Anforderungen der EU-Strategien Farm-to-Fork und Green Deal zu erfüllen.
Landwirte haben also genug Mittel gegen Krankheiten und Schädlinge in der Hand? Manfred Hudetz: Im Moment leider nicht, denn in den vergangenen Jahren sind Wirkstoffe und Produkte überhastet vom Markt genommen worden, ohne dass Alternativen verfügbar wären. Und ich hoffe sehr, dass hier bald ein Umdenken stattfindet. Innovationen brauchen Zeit! Für die Entwicklung eines Pflanzenschutzproduktes müssen Sie mit zehn Jahren rechnen, bis es marktreif ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um chemische, biologische oder technologische Innovationen handelt.
Wann stehen denn mehr biologische Produkte zur Verfügung? Manfred Hudetz: Das europäische Zulassungsverfahren bremst leider nicht nur Innovationen im chemischen Pflanzenschutz aus, sondern auch bei den alternativen Produkten. Die aktuell geltende EU-Verordnung ist einfach nicht für Biologicals ausgelegt. Das gilt auch für die digitalen Technologien, mit denen die Aufwandmengen bei der Applikation deutlich reduziert werden können. Dieser Umweltvorteil wird in der geltenden EU-Verordnung überhaupt nicht gewürdigt, sondern die Wirkstoffe werden anhand ihrer vollen Aufwandmengen bewertet. Wir müssen vermeiden, dass deutsche Landwirte zunehmend in eine Technologielücke geraten.
Sie glauben, dass Technologie helfen wird, Probleme zu überwinden? Manfred Hudetz: Natürlich, die deutsche Wirtschaft ist doch durch Innovationen groß geworden. Ich bin bestürzt über eine Politik, die Fortschritt ausbremst und über Verbote und Ordnungsrecht vermeintliche Idyllen herstellen will. Wir haben gute Hochschulen, wir haben aber auch sehr innovative Firmen hier in Deutschland. Sie sind nicht das Problem, sondern Teil der Lösung. Das gilt gleichermaßen für die Landwirtschaft. Ziel sollte eine vernünftige Selbstversorgung mit Lebensmitteln sein, statt die Produktion – und damit unsere Umweltprobleme – einfach ins Ausland zu verlagern. Da tragen wir auch eine globale Verantwortung. Selbst der gesellschaftlich erwünschte Öko-Landbau könnte von Innovationen profitieren, wenn wir moderne biologische Lösungen entwickeln, die beispielsweise die Kupferanwendungen ersetzen.
Personen und Unternehmen
Das deutsche Agrargeschäft von Syngenta wird in zwei separaten Einheiten gesteuert. Dr. Heike Köhler führt seit 2020 den Geschäftsbereich Saatgut in Bad Salzuflen.
“Natürlich gewinnt die Pflanzenzüchtung immer größere Bedeutung." Dr. Heike Köhler
Können gesündere Getreidesorten das Problem entschärfen? Heike Köhler: Natürlich gewinnt die Pflanzenzüchtung eine immer größere Bedeutung. Zum integrierten Pflanzenbau gehört neben der Wahl gesunder Sorten aber auch, dass wir in Befallsjahren wirksame chemische und biologische Pflanzenschutzmittel anwenden. Resistente Sorten sind extrem wichtig, und wir suchen ständig nach neuen Resistenzquellen. Damit allein können wir aber das Problem mit Krankheiten und Schädlingsbefall nicht lösen. Sortenresistenzen können sehr schnell gebrochen werden.
Syngenta hat entschieden, sich in Deutschland auf die Hybridzüchtung zu konzentrieren. Warum? Heike Köhler: Hybriden verbinden hohe Erträge mit Anpassungsfähigkeit und Nachhaltigkeit. Aufgrund ihres enormen Wurzelwachstums weisen sie im Vergleich zu den Liniensorten eine wesentlich höhere Vitalität auf. Kurz gesagt, bringen sie bei gleichem Stickstoffangebot höhere Erträge, verwerten den Stickstoff also effizienter. Unter ungünstigeren Bedingungen wiederum fallen die Erträge weniger stark ab, sie bieten also mehr Sicherheit.
Wie überzeugen Sie Landwirte von Hybriden? Heike Köhler: Landwirte prüfen sehr genau, bevor sie etwas Neues anbauen. Wenn das Gesamtpaket am Ende einen messbaren Vorteil bietet, machen sie es. Bei Mais und Sonnenblumen haben sich Hybriden längst durchgesetzt. Bei Raps spielen Liniensorten im Praxisanbau seit wenigen Jahren kaum noch eine Rolle. Auch bei Getreide werden die Hybriden Wachstum erleben.
Bei Hybridgerste bewegen Sie sich aber noch in einer Nische. Heike Köhler: Mit ihrer hohen N-Effizienz macht sich der Anbau von Hybridgerste in den ‚Roten Gebieten‘ schnell bezahlt, vor allem unter den neuen Bedingungen der Düngeverordnung. Hervorzuheben ist bei unseren neuen Sorten auch die gute Ramularia-Toleranz. Interessante Ansätze sehen wir zudem in England. Dort ist zu beobachten, dass die Vitalität der Gerstenhybriden dazu führt, dass der Ackerfuchsschwanz eingedämmt wird. Das ist eine wunderbare, fast biologische Ungrasbekämpfung.
Wie beurteilen Sie die mittelfristigen Zukunftsperspektiven für die deutsche Landwirtschaft? Manfred Hudetz: Ich war ja als IVA-Präsident Mitglied der Zukunftskommission Landwirtschaft, in der es darum ging, Visionen zu entwickeln, die alle gesellschaftlichen Strömungen berücksichtigt. Die Übung hat sich gelohnt. Es hat geholfen, Missverständnisse zu beseitigen. Ich glaube, alle Seiten haben mehr Verständnis füreinander entwickelt und ihre Bereitschaft erhöht, Kompromisse einzugehen. Für die agrarpolitischen Aufgaben der nächsten Bundesregierung bietet der Abschlussbericht ein gutes Nachschlagewerk. Denn die deutsche Politik muss umgehend die Rahmenbedingungen schaffen, damit Landwirte ihre Betriebe zukunftsfähig aufstellen können. Heike Köhler: Ich bin zuversichtlich für die Zukunft. Die deutsche Landwirtschaft ist heute schon geprägt von Menschen, die sehr offen sind für neue Technologien, die sich mit Digitalisierung auseinandersetzen und Innovationen gerne nutzen, um ihre Betriebe erfolgreich auszurichten. Außerdem erlebe ich, dass sich immer mehr Landwirte und Landwirtinnen aufgeschlossen der gesellschaftlichen Diskussion zu stellen. Für die Zukunft wünsche ich mir aber, dass diese Leistung noch stärker anerkannt wird. Landwirte sollten auch künftig stolz darauf sein können, dass sie viele Menschen ernähren und noch dazu einen wertvollen Beitrag zur Gestaltung der Kulturlandschaft leisten.
Interview: Dagmar Behme
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