Interview mit Clemens Tönnies
„Unser wichtigster Markt ist und bleibt Deutschland“
Gerüchte über den Verkauf des Fleischimperiums kommentiert Clemens Tönnies nicht. Im Interview mit der agrarzeitung wirkt der 65-Jährige aber nicht wie ein amtsmüder Firmenpatriarch. Fotos: Ludwig Heimrath (2), Tönnies
Clemens Tönnies blickt voller Zuversicht in die Zukunft. Mit Investitionen im Ausland und in alternative Proteine entwickelt er das Familienunternehmen zu einem global agierenden Lebensmittelproduzenten. Trotz Veggie-Hype und kritischer Debatten um die Tierhaltung fürchtet er langfristig keinen Einbruch des Fleischkonsums.
agrarzeitung: Mehr als ein Drittel der 15 bis 29-Jährigen essen laut einer aktuellen Studie kein oder nur sehr selten Fleisch. Fürchten sie langfristig um den Absatz Ihrer Produkte? Clemens Tönnies: Wir haben, solange ich denken kann, Veränderungen der Verzehrgewohnheiten. Was den Fleischkonsum angeht, hat es bis vor rund zehn Jahren immer eine Steigerung gegeben, jetzt sinkt er. Wir haben einen Schwerpunk Fleisch, aber wir sind Lebensmittelproduzent und orientieren uns an den Wünschen und Kaufgewohnheiten der Verbraucher – beispielsweise im Bereich Convenience oder Vegan und Veggie. Wir haben aber auch eine Verantwortung für die gesamte Kette, insbesondere für die landwirtschaftlichen Familienbetriebe. Fleisch haftet das Image des Klimakillers an. Wie reagieren Sie auf diesen Vorwurf? Fleisch ist kein Klimakiller. Tierisches Eiweiß ist ein wertvolles Nahrungsmittel, erzeugt in einer multifunktionalen Landwirtschaft, die gesellschaftlich unverzichtbar ist. Insbesondere Wiederkäuer erschließen Grünland für die Ernährung von uns Menschen. Es kommt darauf an, wie die Nutztierhaltung gemacht wird. Gute Ansätze sind in unserer Nachhaltigkeitsstrategie verankert – wie zum Beispiel die sojafreie Fütterung und der Einsatz gegen Sojaimporte, die mit Regenwaldabholzung verbunden sind. Das Klima und auch unser Grundwasser nehmen Schaden, wenn mit Gülle, Mist und anderen organischen Reststoffen nicht ordentlich umgegangen wird. Hier braucht es ein Kreislaufdenken, das für Ordnung sorgt und die unbescholtenen Betriebe in Ruhe lässt. Ein vernünftiger Ackerbau mit einem intakten Bodenleben braucht organische Dünger aus der Tierhaltung. Und, das nur noch mal zur Faktenlage: Es sind etwa 5 Prozent der CO2-Emissionen aus der Nutztierhaltung in Deutschland zu verzeichnen. Das wollen wir verbessern. Aber nicht durch ideologisch geführte Anti-Fleisch-Debatten, sondern durch konkrete Maßnahmen, die Bäuerinnen und Bauern gemeinsam mit unserer Unterstützung umsetzen.
"Die Menschen haben vor 25 Jahren Schnitzel gegessen und werden das auch noch in 25 Jahren tun."
Kann man Fleisch klimaneutral produzieren? Wir haben viel Erfahrung in diesem Bereich und haben für einige landwirtschaftliche Betriebe auch schon CO2-Bilanzen gerechnet. Man muss natürlich so fair sein, auch den Pflanzenbau mit einzurechnen. Was die Pflanze an CO2 aufnimmt, muss mit in die Bilanz. Pflanzen brauchen Dünger, und der wird von Tieren produziert. Sprich: Ohne Tierhaltung gibt es keinen natürlichen Dünger für die Pflanzen, für die Natur. Wir sind sehr froh, dass wir in einer Gunstregion leben, in der diese Kreislaufwirtschaft möglich ist. Das heißt, wir brauchen ein gesundes Miteinander und eben jene Kreislaufwirtschaft. Das hat sich bewährt.
Der derzeitige Umgang mit den Tieren ist einer der Hauptgründe für den Fleischverzicht. Welchen Einfluss nehmen Sie als Schlachtunternehmen auf die Haltungsbedingungen? Wir treiben den Bau von Offenfrontställen voran, die überwiegend die Voraussetzungen für die Haltungsformen 3 und 4 erfüllen. Viele sind heute schon in Betrieb. Auch der Biolandbau liegt uns sehr am Herzen. Mit unseren effizienten Verarbeitungsprozessen tragen wir dazu bei, Biofleisch auf allen Handelswegen zu etablieren. Das ist ein Prozess, bei dem wir die landwirtschaftlichen Erzeuger mitnehmen müssen. Wir wollen Fleisch in Deutschland produzieren, dafür brauchen wir starke Bauern.
"Fleisch ist kein Klimakiller."
Wie und wo konnten Sie die Ställe trotz der vielfach beklagten Stallbaubremse realisieren? Die Offenfrontställe sind inzwischen in fast allen Bundesländern zu finden. Wir haben mit denen, die uns folgen wollen, Konzepte durchgearbeitet und die Landwirte haben daraufhin investiert. Bei Offenfrontställen finden wir große und kleine Betriebe – von 300 bis 1500 Tieren pro Stall. Das ist vergleichbar mit der Struktur in Westfalen, Südoldenburg oder im Emsland. Die Ställe entsprechen fast alle der Haltungsform 4, die im Prinzip aber auch für die Bio-Haltung genutzt werden können. Es handelt sich nicht um neue Ställe, es sind viele Stallumbauten. Die Mastergebnisse sind übrigens hervorragend.
Die Baugenehmigungen waren keine unüberwindbare Hürde? Das Baugesetzbuch und das Umweltrecht sorgen für große Schwierigkeiten bei den Genehmigungen. Die Landwirte, die schon um- oder neu bauen konnten, hatten schlichtweg Glück und gute Voraussetzungen. Doch in der Fläche sieht das anders aus. Ein Beispiel: Das LANUV plant auf Haus Düsse in Bad Sassenberg den Stall der Zukunft – bekommt aber keine Baugenehmigung. Das führt doch den Wunsch nach Veränderung ad absurdum. Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, dann braucht es eine klare, unbürokratische Struktur für die Umsetzung. Die Vorschläge der Borchert-Kommission liegen auf dem Tisch und müssen jetzt durch Anpassungen im Bau- und Immissionsrecht umsetzbar gemacht werden.
Aldi und andere große Handelsunternehmen wollen mehr Fleisch aus der Haltungsform 3 anbieten, sind Sie bereit, die Nachfrage zu bedienen? Wir haben bis 2030 einen langen Zeitraum vorgegeben bekommen. Da mache ich mir keinen Sorgen. Das bekommen wir hin. Auf der anderen Seite wollen wir die Landwirte auch nicht in ein System zwingen, das sie vielleicht gar nicht umsetzen können. Wir sagen ganz eindeutig: „Wir bleiben Dein Vermarktungspartner, egal ob Haltungsform eins, zwei, drei oder vier.“ Das ist ganz wichtig. Wenn die Preise für die höheren Haltungsstufen sehr auskömmlich sind, werden wir eine Veränderung erleben – und das auch zu Recht. Natürlich muss das Schwein in der Haltungsform 3 erheblich mehr kosten – und das Geld muss dann auch beim Bauern ankommen. Übrigens sind wir schon heute der größte Verarbeiter von Schweinefleisch der Haltungsformen 3 und 4 in Deutschland.
Mit der engeren vertraglichen Bindung an die Tierhalter steigt auch Ihre Verantwortung für die Bedingungen in den Ställen. Bei Verstößen kann es dann schnell heißen: „Skandal in einem Tönnies-Stall“. Wie gehen Sie damit um? Wir haben heute einen Vertragsanteil von circa 80 Prozent. Natürlich fühlen wir uns sowieso mitverantwortlich, das war vorher auch schon so. Wir haben immer schon Einfluss genommen auf landwirtschaftliche Fragestellungen. Was wir auch in Zukunft nicht können, ist, rund um die Uhr eine hundertprozentige Kontrolle der tierischen Produktion zu gewährleisten. Wir können nur die Voraussetzungen einfordern und Vorgaben machen. Wir können nicht jede Schweinerei im Stall verhindern. Das betrifft aber auch nur ganz wenige schwarze Schafe, das muss man ganz klar sagen. Ich stelle mich immer vor unsere Landwirte, weil unsere landwirtschaftlichen Familienbetriebe unsere Partner sind. Die gehen ordentlich mit ihren Böden, mit ihren Höfen und mit ihren Tieren um.
Zur Person Clemens Tönnies
Clemens Tönnies (65) wuchs in einer Metzgerfamilie im westfälischen Rheda auf. Schon als Kind half er in der Wurstproduktion und im Verkauf. Nachdem sein damals 19-jähriger älterer Bruder Bernd im Jahr 1971 einen Großhandel für Fleisch und Wurstwaren gegründet hatte, arbeitete Clemens dort zunächst mit und wurde 1982 Miteigentümer. Seit dem Tod von Bernd Tönnies im Jahr 1994 leitet Clemens Tönnies das Unternehmen. Eigentümer sind zu gleichen Teilen Clemens Tönnies und Robert Tönnies, der Sohn von Bernd Tönnies. In diesem Jahr feiert die Unternehmensgruppe 50-jähriges bestehen. Mit Produktionsstandorten in Deutschland, Spanien, Dänemark, Frankreich, Polen und dem Vereinigten Königreich erwirtschaftet der Konzern einen Umsatz von rund 7 Mrd. Euro. In China plant Tönnies, gemeinsam mit einem einheimischen Partner einen Schlachthof zu bauen.
Wenn die Fleischpreise wegen der Tierwohlkosten steigen, fürchten Sie dann einen Einbruch der Nachfrage? Meiner Meinung nach muss das Preislevel insgesamt nach oben gehen. Der Verbraucher fordert eine Veränderung der Haltungsbedingungen. Und wenn wir dem Landwirt mehr Auflagen machen, haben wir die Pflicht, ihm das auch zu vergüten. Wir sind aber nicht an Preisschwellen, die den Konsum des Verbrauchers massiv beeinflussen würden. Ja, der Landwirt muss für mehr Einsatz honoriert werden. Bei der diskutierten Tierwohlabgabe sprechen wir aber nicht von 2 Euro je Kilogramm.
Was bedeuten höhere Tierwohlkosten für den Fleischexport? Auch die Schweinefüßchen oder Öhrchen von einem Schwein aus der Haltungsform 2 oder 3 werden in Deutschland nicht gegessen. Für uns stehen Ressourcenschutz und die ganzheitliche Verwertung von Lebensmittel ganz oben. Und um eine ganzheitliche Vermarktung des Tieres gewährleisten zu können, werden wir diese auch bei den Haltungsformen 2, 3 und 4 zum Beispiel nach China exportieren, da sie dort als Delikatessen gelten.
Befürchten Sie, dass mehr Tierwohl-Fleisch produziert werden könnte, als der Markt aufnehmen kann? Das ist ein großes Thema. Wir habe das schon ein paarmal gehabt. Am Ende entscheidet der Verbraucher. Ich kann in die Theke legen, was ich will, wenn er es nicht kauft, dann legt der Handel es auch nicht mehr rein. Ich glaube aber, dass der Verbraucher reif ist für solche Programme. Beim Biofleisch sehen wir eine nachhaltige Entwicklung, das ist kein Strohfeuer, obwohl das Fleisch erheblich teurer ist.
"Eine Alternative zu einem gewachsenen Fleisch haben wir bisher aber nicht entwickeln können."
Der Konzern investiert auch im Ausland. Beginnt damit die von den Erzeugern befürchtete Verlagerung der Produktion? Klares Nein. Unser wichtigster Markt ist und bleibt Deutschland. Wir wollen auch weiterhin Fleisch aus regionalen Strukturen produzieren. Das ist unser klares Bekenntnis zum Standort Deutschland und zu unseren mehr als 10.000 landwirtschaftlichen Partnerbetrieben.
Warum investieren Sie dann in Spanien in einen neuen Schlachthof? Spanien hat uns den Rang als größter europäischer Produzent abgelaufen. Das Land hat einige Vorteile in der Erzeugung, in den Umweltauflagen, in den Lohnstrukturen. Das ist der Grund, warum wir uns dort engagieren. Aber es hat nichts damit zu tun, dass wir Deutschland vernachlässigen wollen oder werden. Spanien ist ein interessanter Markt, für den Export, insbesondere in Drittländer. Wir haben dort sehr viele Exportzulassungen, und die wollen wir nutzen.
Wollen Sie von Spanien aus auch den deutschen Markt bedienen? Nein, wichtig ist, dass wir die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland erhalten. Weil sie familienorientiert ist. Mit den Familienbetrieben in der Landwirtschaft haben wir einen unglaublichen Erfolg, weil auch die Innovation in diesen Strukturen sehr positiv voranschreitet. Der Um- und Neubau von Offenfrontställen, so etwas kriegen sie nur mit Familienbetrieben hin. Wir glauben an die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland. Die Investitionen haben etwas damit zu tun, dass wir uns als großes Unternehmen breiter aufstellen, um uns noch mehr auf dem spanischen Markt und in den Exportmärkten zu etablieren.
Maximilian Tönnies treibt die Innovationen bei den alternativen Proteinen voran, unterstützt aber auch das Engagement für mehr Tierwohl.
Sie sind relativ spät in die Herstellung pflanzlicher Alternativen eingestiegen. Wie wollen Sie dieses Segment entwickeln? In der Zur-Mühlen-Gruppe und bei Tönnies produzieren wir mit Erfolg vegane und vegetarische Produkte. Wir haben jetzt Nuggets herausgebracht und Frikadellen. Das entspricht der Ausrichtung von Tönnies als Lebensmittelproduzent. Wie ich schon sagte, wir produzieren das, was der Verbraucher konsumieren möchte.
Welche Umsatzanteile erwarten Sie in Ihrem Konzern 2030 in dieser Sparte? Das kann ich heute noch nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass unsere Anlagen beides verarbeiten können – vegan und vegetarisch oder Fleisch. Die Nachfrage wird gedeckt werden.
Cultured Meat ist noch nicht im Markt angekommen. Glauben Sie, dass langfristig in der Fleischproduktion auf die Schlachtung von Tieren verzichtet werden kann? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen und ich halte das auch nicht für wünschenswert. Wir sind zwar mit einem Start-up aus Israel verbunden und verfolgen diese Entwicklung aufmerksam. Als Nische könnten sich hier neue Produkte am Markt etablieren. Aber der absolute Durchbruch…?! Es geht ja nicht nur um Eiweiß, das man zu sich nimmt. Wir wollen den Genuss von Fleisch hervorheben. Theoretisch könnte man seine Nährstoffe als Tablette zu sich nehmen, aber das kann ja das Steak oder das Schnitzel nicht ersetzen. Wir haben unterschiedliche Entwicklungen im Blick, schauen, was geht. Das wird ja auch getrieben von meinem Sohn Max, der sagt: „Wir tragen den Verzehrgewohnheiten Rechnung.“
Es gibt derzeit viele Verfahren zur alternativen Proteinproduktion. Pflanzenbasierte Fermentation durch Mikroorganismen, Insekten, Cultured Meat. Welche werden sich Ihrer Meinung nach langfristig am Markt durchsetzen? Theoretisch und technisch ist vieles möglich, aber Eiweißgewinnung aus Insekten? Genau wie Nutztiere brauchen auch Insekten Pflanzen, um zu wachsen. Beim künstlichen Weben von Fleischgeweben, da gibt es ganz interessante Entwicklungen, das könnte ich mir vorstellen. Eine Alternative zu einem gewachsenen Fleisch haben wir bisher aber nicht entwickeln können. Die Zellstruktur, die sich momentan bilden lässt, hat mit Genuss und Geschmack von Fleisch bisher nichts zu tun. Auch deshalb glauben wir an die erfolgreiche Zukunft der Fleischproduktion in Deutschland.
"Wir können nicht jede Schweinerei im Stall verhindern."
Für die Arbeit in der Fleischverarbeitung findet man in Deutschland kaum Arbeitskräfte. Ist die weitere Automatisierung ein Weg, dieses Problem zu lösen? Ganz eindeutig. Das ist eine unserer Hauptinvestitionen. Wir wollen zuerst schwere Arbeit automatisieren und später auch andere Tätigkeiten, die sich automatisieren lassen. Dadurch wird es auch zu einem Abschmelzen von Arbeitskräften kommen.
Ihr Neffe Robert ist einer ihrer schärfsten Kritiker. Fürchten Sie, dass er durch einen Verkauf seiner Anteile das Lebenswerk der Brüder Bernd und Clemens zerstören könnte? Es gibt uns 50 Jahre als Familienbetrieb. Die vielen Gerüchte, die draußen herumschwirren, habe ich bisher nicht kommentiert und die werde ich jetzt auch nicht kommentieren. Ich sehe uns als Unternehmen und auch als Familienunternehmen nicht aus dem Markt verschwinden. Wenn Sie 100 Jahre agrarzeitung feiern, dann werden wir 75 Jahre Tönnies feiern.
Lassen Sie uns 25 Jahre in die Zukunft schauen. Wie werden die Menschen dann ihren Proteinbedarf decken und welche Rolle werden Tiere dabei spielen? Die Menschen haben vor 25 Jahren Schnitzel gegessen und werden das auch noch in 25 Jahren tun. Ja, wir haben eine Diskussion, die vieles infrage stellt, gerade in der Jugend. Die stellen die Leistung infrage, auch wirtschaftliche Zusammenhänge, das ist das Recht der jungen Generation. Ich glaube, dass auch die Jugend zurückkommt zu Genuss, zu einer gesunden Ernährung, die auch auf Fleisch basiert. Ich bin auch davon überzeugt, dass wir die Grundeinstellung der Jugend zu unseren Landwirten korrigiert bekommen, dass die Akzeptanz zurückkommt für die Menschen im ländlichen Raum, die die Landschaft pflegen und die Tiere gut behandeln.
Interview: Steffen Bach