Interview Anthony van der Ley
„Es herrscht eine zu große Mutlosigkeit“
Für Anthony van der Ley, CEO Lemken, werden Beratung und Service der Kunden angesichts immer leistungsfähigerer Produkte noch wichtiger.
Der Einsatz digitaler Technologien ist in der hiesigen Landwirtschaft bereits gängige Praxis. Anthony van der Ley beschreibt die aktuelle Situation und skizziert weitere Einsatzmöglichkeiten von morgen. Zudem wagt der Branchenexperte einen Blick in die Glaskugel, wie der hiesige Agrartechniksektor von morgen beschaffen sein könnte.
agrarzeitung: Das Agribusiness in Deutschland gilt als digitaler Vorreiter. Teilen Sie diese Einschätzung?
Anthony van der Ley: Definitiv. Der Vorsprung, den die deutsche Landtechnik hier und im Ausland genießt, resultiert zum einen aus der anerkannt guten maschinenbaulichen Qualität. Die Geräte sind bis in Einzelheiten durchdacht, was den Landwirten eine hervorragende Arbeitsqualität bringt, bei gleichzeitig komfortabler Bedienung. Auch bei der Digitalisierung sind viele deutsche Hersteller frühzeitig und mutig gestartet. Als mittelständisches Familienunternehmen sind wir hier mehrfach den Weg mit anderen Herstellern gegangen. Schon 2009 haben wir mit vier weiteren Unternehmen das CC-ISOBUS gegründet, um die elektronische Bedienung von Landtechnik zu standardisieren und weiterzuentwickeln. Mittlerweile haben sich 35 weitere Unternehmen angeschlossen. 2014 haben wir gemeinsam mit anderen Herstellern die DKE Data gegründet. Diese Kooperationen haben, neben dem finanziellen Aspekt, den Vorteil, dass die daraus hervorgehenden Technologien schnell praxistauglich sind und, da standardisiert, unseren Kunden ein breites Einsatzspektrum bieten. Denn ‚Farming 4.0 funktioniert‘ erst dann, wenn ein hersteller- und produktübergreifender Datenaustausch gewährleistet ist.
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Was läuft hier schon recht ordentlich?
Beispiele für erfolgreiche Lösungen sind der Agrirouter als digitale Plattform zum standardisierten Fabrikats-unabhängigen Datenaustausch und für die Einbindung von Farmmanagementsystemen. Die CCI-Terminals und Bedienelemente mit ihren diversen Apps zur Steuerung und Verknüpfung der Geräte sind längst zum Standard geworden. Selbst ältere und einfachere Bodenbearbeitungsgeräte können wir mit ‚iQblue connect‘ digital einbinden und ermöglichen damit die Automatisierung vieler Gerätefunktionen über das Tractor Implement Management, kurz TIM. Unsere Kunden schätzen auch den Remote-Service, also die onlinebasierte Fernwartung und -störungshilfe, für unsere Steketee-Hackmaschinen, die bereits über einen sehr hohen Automatisierungsgrad verfügen.
Wo gibt es noch wesentliche Baustellen?
Eine große Aufgabe besteht weiter darin, den Nutzen dieser digitalen Produkte gut sichtbar zu machen und noch mehr Interesse und Offenheit bei den Landwirten zu erreichen. Eine ständige Herausforderung ist es dabei, die Vorteile leicht verständlich und nutzerorientiert zu vermitteln. Außerdem gilt es, die gewonnenen Daten noch besser zu verwenden, um durch präziseren Einsatz von Dünger, Saatgut, Wasser oder Pflanzenschutz Geld zu sparen und die natürlichen Ressourcen zu schonen.
„ Der Diesel wird noch eine längere Berechtigung auf dem Acker haben.“
Ist Landwirtschaft 4.0 unter einer bestimmten Betriebsgröße ein Ausschlusskriterium?
Ja und nein. Eine gewisse Betriebsgröße und eine nennenswerte Anzahl von Maschinen sind sicher eine gute Basis, da sich die Investitionen für den Einsatz digitaler Produkte eher rechnen. Andererseits gibt es Lösungen, die nicht viel kosten, aber zu deutlichen Einsparvorteilen führen. Hierzu zählt zum Beispiel alles, was den Landwirt bei seinen zeitaufwendigen Dokumentationspflichten unterstützt.
Ist Digitalisierung ‚das‘ Patentrezept für wirtschaftlichen Erfolg von Agrarbetrieben – koste es, was es wolle?
Es hat sicherlich mit einer nötigen ‚Affinität‘ für diese Technik zu tun, ist möglicherweise auch eine Generationsfrage. Wir stellen fest, dass die einen Landwirte total begeistert sind und großen Nutzen daraus ziehen, dass sie ihre Systeme clever aufeinander abgestimmt haben. Die anderen beschäftigen sich eher rudimentär damit und nehmen dadurch nicht richtig Schwung auf. Und eine Patentlösung gibt es für den Ackerbau sowieso nicht. Denn mehr als alle Daten sind das Fachwissen und die Erfahrung des Landwirtes der größte Schatz und Garant für eine gute Betriebsführung und dafür, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Wenn Sie einen Blick nach vorne wagen: Wie wird die hiesige Landtechnikbranche in etwa 25 Jahren strukturiert sein?
Das ist ein ziemlich weiter Blick nach vorne. Aber natürlich gehen wir davon aus, dass Lemken mit seinen bis dato 241 Jahren Erfahrung weiter ein bedeutender Mitspieler sein wird! Und dann werden wir Produkte anbieten, an die man heute möglicherweise noch nicht denkt. Auf jeden Fall glauben wir an die Stärke des Mittelstands, der sich mit den richtigen Investitionen und starken Produkten flexibel für die Zukunft aufstellen kann.
Zum Unternehmen
Lemken mit Sitz in Alpen am Niederrhein ist einer der führenden Anbieter von professioneller Pflanzenbautechnik, mit mehr als 1.600 Beschäftigten, 29 eigenen Vertriebsstandorten weltweit und hatte zuletzt einen Jahresumsatz von 365 Mio. €. Produziert wird die Technik aktuell am deutschen Stammsitz in Alpen, in Haren an der Ems, im indischen Nagpur sowie im niederländischen Stad aan ‚t Haringvliet. Der gebürtige Niederländer Anthony van der Ley ist seit November 2012 Geschäftsführer des Landmaschinenspezialisten. Seit Oktober 2020 ist der Branchenexperte auch Vorsitzender des VDMA Landtechnik in Frankfurt a.M. Sz
Wie könnten sich speziell mittelständische Firmen wie Lemken hier positionieren?
Als Familienunternehmen sind wir nur uns und unseren Kunden verpflichtet. Das macht uns anpassungsfähig und flexibel. Gleichzeitig haben wir genügend Reserven, um wegweisende Projekte mit längerem Atem zu verfolgen. Außerdem ist die Spezialisierung auf ein Geräteprogramm für den Ackerbau ein großer Vorteil, denn hier haben wir 241 Jahre Erfahrung und Prozesskenntnisse, die eine fundierte Basis für die Entwicklung von Zukunftstechnologien darstellen. Beratung und Service der Kunden werden angesichts immer leistungsfähigerer Produkte noch wichtiger. Lemken unterhält ein großes Netz von Vertriebs- und Serviceexperten im Außendienst. Diese Mitarbeiter sind vor Ort und werden auch in Zukunft ein sehr gutes Vertrauensverhältnis zum Kunden haben. Gleichzeitig wird es für die digitalen Funktionen unserer Geräte die Möglichkeiten der Ferndiagnose und -wartung geben.
Wird es im Zuge der Globalisierung tendenziell weniger große Platzhirsche in der Branche geben?
Das sehe ich so nicht. Im Laufe der Zeit haben sich immer wieder neue Spezialisierungen gebildet und damit die Großen der Branche auf Trab gehalten.
Bisher lautete die Devise für Agrartechnik: Größer und schlagkräftiger. Welche Maßstäbe sehen Sie hier künftig?
Wir erwarten, dass sich der Markt teilt. In schlagkräftige Technik für sehr große Betriebe, wie wir es aus Osteuropa oder den USA kennen. Auf der anderen Seite gibt es technisch sehr anspruchsvolle Kunden, die spezifische Lösungen verlangen, sei es für bestimmte Feldfrüchte oder zum Beispiel im Gemüsebau. Für die Hacktechnik, die wir über Steketee anbieten, gibt es beispielsweise sehr spezifische Maschinenkonzepte mit kamera- und softwaregesteuerten intelligenten Bearbeitungsverfahren. Auch automatisierte kleine Einheiten werden hier künftig eingesetzt werden. Denn bei einem möglichen Einsatz rund um die Uhr ändert sich die Wirtschaftlichkeit und damit die optimale Größe.
„ Eine Patentlösung gibt es für den Ackerbau sowieso nicht.“
Könnten bis dahin auch völlig neuartige Maschinenarten in unseren Breiten zum Einsatz kommen, initiiert beispielsweise durch Klimawandel oder gesellschaftspolitische Restriktionen?
Ja, natürlich, da sehen wir ebenfalls einen Trend. Bei den Pflügen wird an Weiterentwicklungen geforscht, wo die Speicherung von Kohlendioxid im Boden und damit eine bezahlbare Umweltdienstleistung für den Landwirt wirtschaftlich attraktiv wird. Die Hacktechnik ist ein bereits bekanntes Beispiel, was durch die Restriktionen beim Pflanzenschutz und mit neuer Technologie attraktiv und wirtschaftlich wird. Die ultraflache Stoppelbearbeitung, abgeleitet aus dem Bio-Anbau, haben wir mit unserem ‚Koralin‘ umgesetzt. Genau diese ständig möglichen Weiterentwicklungen machen die Faszination Landtechnik für uns aus.
Wird der Dieselmotor in den Schlüsselmaschinen auf dem Acker alternativen Antriebstechniken auf absehbare Zeit weichen müssen?
Der Diesel wird noch eine längere Berechtigung auf dem Acker haben, denn in puncto Leistungsfähigkeit und Zugkraft gibt es noch keine Alternative. Es wird aber weitere Möglichkeiten durch alternative Antriebe geben, auch, um den Kohlendioxidausstoß zu begrenzen.
Wann werden Flotten autonomer Erntemaschinen, etwa im Mähdrusch, hierzulande zur Normalität werden?
Da hier eine Menge Forschung zur sicheren autonomen Steuerung notwendig ist, wird dieser Schritt bestimmt noch eine Weile dauern. Noch interessantere Anwendungen ergeben sich mit dem Einsatz von Sensorik, um zum Beispiel die Bodenbearbeitung nicht nur zu automatisieren, sondern über die Verknüpfung von Daten mittels künstlicher Intelligenz auch das Verfahren und damit die Erträge qualitativ zu optimieren.
Interview: Olaf Schultz