Lebensmittel aus dem 7. Stock
Wie Vertical Farming den Anbau von Nahrungsmitteln revolutioniert
Foto: IMAGO/IP3Press
Geringerer Flächenverbrauch, Verzicht auf Pflanzenschutz und kaum Transportkilometer: Die Verheißungen des Vertical Farming sind bereits in den frühen 2020er Jahren groß. Vieles davon wird in den kommenden Jahrzehnten Realität.
Gehören Sie noch zu den Menschen, die ihren Salat, Gemüse und Kräuter aus dem Supermarkt nach Hause schleppen mussten? Für die heranwachsende Generation, die die Anwesenheit des kleinen gläsernen Schrankes in jeder gut ausgestatteten Küche nicht mehr hinterfragt, ist das kaum vorstellbar. Ebenso wenig der Fakt, dass Gemüse, das so einfach zu Hause oder im nächsten vertikalen Gewächshaus im Stadtviertel heranwächst, einst weit von den urbanen Zentren entfernt auf riesigen Flächen angebaut wurde. Manche erinnern noch die Bilder von Landstrichen, die dem Gemüseanbau gewidmet und gänzlich unter Plastikplanen verborgen waren. Insbesondere das 36.000 Hektar große „Plastikmeer“ in der südspanischen Provinz Almeria, das aktuell renaturiert und zum Nationalpark umgewidmet wird, war damals sogar auf Satellitenbildern erkennbar und stand Ende der 2010er Jahre enorm in der Kritik. Die Weichen für die Dezentralisierung und Vertikalisierung des Gemüseanbaus wurden bereits vor mehr als 25 Jahren gestellt. Im Jahr 2021 existierten bereits vereinzelt vertikale Farmen. Die Akzeptanz der Verbraucher war jedoch zunächst gering und die Produktionskosten im Vergleich zum Freilandanbau noch sehr hoch.
Effiziente Wassersysteme
Doch es galt, nach Lösungen zu suchen. Etwa, um die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung sicherzustellen. Hochrechnungen der Vereinten Nationen gingen damals davon aus, dass 2050 etwa 9,7 Milliarden Menschen auf der Erde leben würden – davon rund 6 Milliarden Menschen in urbanen Ballungszentren. Gleichzeitig rechnete man damit, dass die nutzbare Fläche für die Landwirtschaft immer kleiner werden würde. Die ersten Folgen des Klimawandels und damit einhergehende geringere Ernteerträge waren ebenfalls absehbar. Die Idee der vertikalen Farmen sollte die Probleme abmildern und weitere Vorteile ausspielen. Die Prognosen waren, dass vertikale Farmen aufgrund der hocheffizienten Wassersysteme gerade mal 5 bis 10 Prozent des Wassereinsatzes der einst "normalen" Landwirtschaft brauchten. Auch hoffte man, Nährstoffe effizienter einsetzen und auf Pflanzenschutzmittel gänzlich verzichten zu können, weil Schädlinge und Krankheiten in den geschlossenen Systemen überhaupt nicht existieren würden.
Foto: Agrilution
Ansicht einer Küche in Manhattan: Kräuter wachsen direkt in den Häusern der Konsument:innen
Enormer CO2-Fußabdruck
Heute im Jahr 2046 kaum noch vorstellbar, aber der CO2-Fußabdruck vieler Gemüsesorten, die nun problemlos und nahezu selbstverständlich direkt am Ort des Verzehrs wachsen, war damals enorm. Der vertikale Anbau war in diesem Punkt noch keine Alternative, denn der notwendige Stromverbrauch für den Anbau in den Etagengewächshäusern war hoch und meist noch nicht vollständig aus regenerativen Energien verfügbar. Auch konnte in vertikalen Farmen keine Bioware angebaut werden, die bei den Verbrauchern immer beliebter wurde. Denn der Grundsatz des ökologischen Landbaus bestand im Jahr 2021 in einer bodenbezogenen Produktion. Pflanzen mussten quasi in Erde wachsen, um die Bio-Deklaration zu erhalten. Ein Fakt, der später korrigiert wurde. Forschungsversuche brachten die Entwicklung des Vertical Farmings weiter voran. In internationalen Fachkreisen wurde das Thema intensiv diskutiert, in Deutschland etwa an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) sowie am Fraunhofer Institut. Ein weiterer Punkt, der die Revolution der urbanen Gemüseproduktion voranbrachte: Start-up-Unternehmen, die die damaligen Probleme und Herausforderungen erkannten und sich gleichermaßen den Zeitgeist in der Gesellschaft zunutze machten.
Recycelter Kunststoff statt Erde
Das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft beschrieb in einem Artikel die damals weltweit größte vertikale Farm in den USA im Bundesstaat New Jersey. Dort kultivierte das Unternehmen Aerofarms in einer ehemaligen Stahlfabrik Gemüse in zwölf Etagen übereinander. Der Clou: Hier konnte ganzjährig geerntet werden. Möglich machte dies eine 24-Stunden-Beleuchtung mit LED-Lampen und eine Klimasteuerung, die stets für die optimale Temperatur und Luftfeuchte im Raum sorgte. Die Pflanzen wuchsen eben nicht mehr in der Erde, sondern auf wiederverwendbaren Netzen aus recyceltem Kunststoff. Über ein computergesteuertes Kreislaufsystem bekamen die Pflanzen Wasser und Nährstoffe. So konnten in dieser vertikalen Farm auf „nur“ 6.500 Quadratmetern mehr als 900 Tonnen Gemüse pro Jahr produziert werden. Damals bedeutete das auf den Quadratmeter Grundfläche einen Ertrag, der 390-mal höher war als im herkömmlichen Feldanbau. Oder anders ausgedrückt: Aerofarm benötigte gerade einmal ein Prozent der Fläche, die damals im Freilandanbau nötig war. Natürlich ließen sich nicht alle Ideen aus den Anfängen des Vertical Farming in Gänze umsetzen. Auch heute wachsen Kartoffeln, Getreide, Reis oder Mais im klassischen Ackerbau. Es blieb hier bislang bei Forschungsversuchen. Dennoch gut zu wissen: Ginge es ums Überleben, könnten die Grundnahrungsmittel auch vertikal angebaut werden.
Von Mareike Scheffer