Wissensaustausch beginnt in sozialen Netzwerken
Smarte Technologien gehören auf den Lehrplan
Vor dem Einsatz eines GreenSeeker- Sensorkopfes mit eigener Lichtquelle ist eine Schulung erforderlich.
FOTO: NEXT/ FARMFACTS
Smarte Technologien gehören auf den Lehrplan
Smarte Technologien gehören auf den Lehrplan
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Pakete mit Zusatznutzen statt Spotgeschäft
Die Unkenntnis über wirtschaftliche Vorteile ist neben der Betriebsgröße, dem Bildungsabschluss und Datenschutz, einer von vielen Gründen, warum sich Betriebsleiter:innen zieren, Precision Farming zu nutzen. Dies zeigt eine Studie der Georg-August-Universität Göttingen mit rund 270 befragten Landwirt:innen. Oft werde Precision Farming nach Bauchgefühl eingesetzt, heißt es in der begleitenden Masterarbeit von Nico Wienrich. Die Standortunterschiede auf der Ackerfläche zu erkennen und mit zielführenden Maßnahmen darauf zu reagieren, ist die Herausforderung des Ackerbaus der Zukunft. Die teilflächenspezifische Betrachtung des Standorts bietet Potenziale zur exakten Ausbringung und Reduktion von Pflanzenschutz- und Düngemitteln.
Flächendeckender Einsatz notwendig
Untersuchungen zur ökologischen Auswertung von Precision Farming zeigen, dass sich mit der teilflächenspezifischen Bewirtschaftung die Nitrat-Sickerwasserverluste um 8 bis 12 kg Stickstoff /ha und Jahr bei gleichbleibender Gesamtdüngermenge reduzieren lassen. Die Stickstoff(N-)effizienz wird durch die teilflächenspezifische Düngung auf ertragsschwachen Standorten verbessert. Zudem kann die Proteinkonzentration durch diesen Ansatz auf dem gesamten Schlag gleichmäßig verteilt werden. Dies ist gerade bei rückläufigen Proteingehal-ten im Weizenanbau durch die immer strengeren Vorgaben der Düngeverordnung ein wichtiger Punkt. Precision Farming ermöglicht eine exakte Betriebsführung durch die Automatisierung verschiedener Prozesse. In den kommenden Jahren gehört die Vernetzung mit Farmmanagementsystemen zum Standard. Doch was nützen alle Vorteile, wenn sich die Technik nicht flächendeckend etabliert? So setzen 70 Prozent der Befragten in der Göttinger Studie Precision-Farming-Technologien auf dem eigenen Betrieb ein. Dabei fällt auf: Je höher der Bildungsabschluss, umso mehr kommt die teilflächenspezifische Ausbringung zum Einsatz. Oft sind in den Lehrplänen der landwirtschaftlichen Ausbildung die neuen Technologien kaum oder gar nicht vorgesehen. Hier bedarf es einer dringenden Korrektur, um Berührungsängste abzubauen und die Vorteile zu erkennen, angefangen bei den Lehrkräften mit einer Weiterbildung im Fach Digitalisierung. Auch Landwirtschaftsverbände und -beratungen sollten ihre Angebote in modernen Technologien ausweiten. Die hohen Anschaffungskosten von bis zu 30.000 € für eine vollautomatische Steuerung des Düngerstreuers mit einem Sensorsystem werden in der Umfrage von den Precision-Farming-Nichtnutzern als größtes Hemmnis für die Anwendung wahrgenommen. Dabei geht hervor, dass vor allem Betriebe über 100 ha Precision Farming einsetzen. Durch die höhere Auslastung amortisieren sich die Kosten schneller, Arbeitskräfte werden speziell auf die Anwendung geschult.
So schätzen Landwirt:innen Precision Farming ein
Viel Potenzial
Bei einer durchschnittlichen Betriebsgröße von 62,5 ha in Deutschland schlummert für eine breite Nutzung noch viel Potenzial, schlussfolgert Autor Wienrich. Der Wissenschaftler schlägt deshalb einen überbetrieblichen Einsatz der Technologie vor. Die genaue Planung der Arbeitsabläufe sowie die Schulung der Anwender sind dabei Voraussetzung für einen erfolgreichen Einsatz. Doch gibt es Vorbehalte von Betriebsleitern. Sie verweisen auf die engen Zeitfenster zur optimalen Applikation von Pflanzenschutz- oder Düngemitteln und fürchten, nicht rechtzeitig die Geräte zur Verfügung zu haben. Die Hersteller sind deshalb aufgefordert, die Nutzungsgemeinschaften mit innovativen Ideen kompetent zu begleiten. Auch ein günstigeres Einstiegssegment erleichtert die Entscheidung. Ein weiteres Hindernis zur Anwendung sind die Verwaltung sowie die richtige Interpretation der gewonnenen Daten. Hier sind weitere Anstrengungen seitens der Industrie notwendig, um eine einwandfreie Funktionalität in der Maschinenverknüpfung sicherzustellen.
Austausch in sozialen Netzwerken
Für die regionale Verbreitung moderner Technologien spielen fortschrittliche Landwirt:innen als Meinungsführer in soziale Netzwerken eine große Rolle. Die Umfrage zeigt, dass 88,5 Prozent der Landwirte, die zum ersten Mal Precision Farming nutzen, mindestens einen an-deren Anwender kennen, während dieser Anteil bei den Betrieben ohne Nutzung von Precision Farming nur bei 36,9 Prozent liegt. Trotzdem sehen sie die Technologie, ähnlich, wie die Precision-Farming-Nutzer, als ein Kernelement der deutschen Landwirtschaft, heißt es in der Masterarbeit der Universität Göttingen. Dieses Ergebnis zeigt, wie wichtig es ist, die Vorurteile gegenüber Precision Farming abzubauen. Precision Farming hat das Potenzial, die gesellschaftlichen Forderungen nach mehr Arten-, Klima- und Umweltschutz mit dem Ziel eines effizienteren Betriebsmitteleinsatzes bei gesteigerten Qualitäten und Erträgen zu vereinen.
Landwirtschaft neu denken
Ein digitaler Zwilling assistiert der Betriebsleitung
Dr. Jens Karl Wegener, Leiter des Instituts für Anwendungstechnik im Pflanzenschutz, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Braunschweig
Agrarproduktion ist für künftige Herausforderungen neu auszubalancieren – Aufspaltung in Ackerbau- und Veredelungsregionen muss überwunden werden.
Wir stehen heute vor der großen Herausforderung, die landwirtschaftliche Produktion sowie die daraus resultierenden Umweltleistungen und -kosten vor dem Hintergrund der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe, den hohen gesellschaftlichen Erwartungen sowie nicht zuletzt den Auswirkungen des Klimawandels neu auszubalancieren. Nachhaltige Intensivierung lautet das Gebot für die Zukunft – das heißt, mit weniger Produktionsmitteln den Ertrag halten oder gar mehren, gleichzeitig negative Umweltwirkungen so weit wie möglich reduzieren und die positiven Umweltwirkungen stärken. Künstliche Intelligenz steigert Effizienz Dabei können uns die Methoden der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz helfen, die landwirtschaftlichen Prozesse effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Dennoch wird eine „einfache“ Fortschreibung der heutigen Produktionssysteme nicht ausreichen, um dieses Ziel zu erreichen. Das Dafa-Forum „Zielbilder für die Landwirtschaft 2049“ hat einen Forderungskatalog für Ackerbau, Tierhaltung, Ernährung, Stoffkreisläufe sowie Landschaft und Biodiversität im zukünftigen System Landwirtschaft erstellt, basierend auf den drängenden Fragen von heute. Nimmt man diese Vision als Basis, dann ergeben sich für Landtechnik und Agribusiness grundlegende Veränderungen. Die geforderte Schließung von Nährstoffkreisläufen sowie der Verzicht auf synthetische Düngemittel impliziert für den konventionellen Anbau zum einen eine wesentliche Erweiterung heutiger Fruchtfolgen; mit dem Ziel, andere Pflanzen anzubauen sowie stickstofffixierende Pflanzen in die Fruchtfolge zu integrieren. Zum anderen bedeutet es, den anfallenden Wirtschaftsdünger aus Tierhaltung und Bioenergieerzeugung so aufzubereiten, dass er bezüglich seiner Nährstoffzusammensetzung weitestgehend homogenisiert wird und eine deutlich höhere Transportwürdigkeit erlangt. Die historisch geschaffene Aufspaltung in Ackerbau- und Veredelungsregionen ist zu überwinden; allein schon, um Wirtschaftsdünger wieder überall lokal verfügbar zu machen. Neue Produktionssysteme zur insektenbasierten Proteinerzeugung helfen die Futter- und Reststoffverwertung zu optimieren, durch neue Futterpflanzen Fruchtfolgen aufzulockern, Treibhausgasemissionen zu senken und lokale Wirtschaftskreisläufe zu schließen. Insekten könnten als Alternative zu konventionellen Nutztieren auch von besonderer Bedeutung in Ackerbauregionen sein, wenn sich die Haltung weitgehend automatisieren lässt. Trend zu autonomen Maschinen Die Landtechnik in Innen- und Außenwirtschaft ist geprägt von vorwiegend kleinen autonomen Maschinen, die mit lokal erzeugter Energie aus erneuerbaren Quellen die Wertschöpfung im ländlichen Raum erhält. Sie ermöglicht die bodenschonende Bewirtschaftung der Äcker und bietet die notwendige Präzision für eine Einzelpflanzenbehandlung in der Bestandsführung. Die Bodenbearbeitung wird sich aus der Notwendigkeit des sparsamen Umgangs mit der Ressource Wasser sowie aus Gründen des Klimaschutzes auf konservierende Maßnahmen beschränken. Die Unkrautdruckregulierung findet mit nicht-chemischen Verfahren auf Basis autonomer Roboter statt. Dabei wird so gezielt vorgegangen, dass die Biodiversität auf dem Acker unter Einhaltung der Schadschwellen maximiert wird. Geplant und organisiert wird das Ganze über einen digitalen Zwilling des Betriebs, in dem Künstliche Intelligenz (KI) der Betriebsleitung assistiert und ihre Entscheidungen unterstützt. Sie kümmert sich um sämtliche administrativen Erfordernisse, bestellt Betriebsmittel, verkauft Produkte und überwacht und koordiniert alle betrieblichen Abläufe. Die in Feld und Stall arbeitenden Agrarroboter füttern die KI dabei permanent mit betrieblichen Monitoringdaten. Wetter und Marktdaten werden von der KI analysiert und in immer ausgereiftere Betriebsstrategien integriert. So oder so ähnlich könnte sie aussehen, die Landwirtschaft im Jahr 2046. Technisch möglich wäre es. Derzeit wird wegen der gesellschaftlichen Kritik an der Landwirtschaft viel diskutiert, politisch zum Beispiel in der Zukunftskommission Landwirtschaft, wissenschaftlich zum Beispiel im bereits genannten Dafa-Forum, aber auch auf und mit den Betrieben vor Ort. Dabei geht es um die „richtigen“ Wege in die Zukunft. Diese Prozesse sind längst nicht abgeschlossen und es erscheint derzeit kaum absehbar, ob, und wenn ja, auf welche Zielvorstellung, sich die vielen beteiligten Interessengruppen einmal einigen werden und was davon realistischerweise praktisch durchsetzbar sein wird. Heute fehlen verlässliche Rahmenbedingungen Dabei sind es gerade jene Zielbilder, die als Grundlage für Entscheidungen über die heutigen Weichenstellungen auf den Betrieben fehlen. Viele Praktiker haben den Willen für Veränderungen, aber es fehlt ihnen für Investitionen in die Zukunft an verlässlichen Rahmenbedingungen, die aufzeigen, wohin die Reise gehen wird. Und dann wäre da noch ein weiterer Aspekt: Wo zu Weltmarktpreisen produzieren werden muss, da gibt es auch nur noch „Weltmarktlandschaften“. Es gibt kein anderes Gut, welches einen so großen Einfluss auf das Landschaftsbild hat wie Lebensmittel: Lebensmittel gestalten die Kulturlandschaft! Und es ist gerade eben diese Kulturlandschaft, die Grundlage für eine große Vielfalt ist. Der hiesige, politisch gewollte Strukturwandel der letzten Dekaden hat allerdings oftmals ins Gegenteil geführt. Viele Betriebe sind unter dem Druck von Agrarsubventionen und Weltmarktpreisen um des Überlebens willen gewachsen und haben sich immer weiter spezialisiert, mit ihnen ganze Regionen. Kehrseite billiger Lebensmittel Die Folge ist, dass wir heute in Deutschland reine Veredelungs- und Ackerbauregionen haben, in denen die Struktur der Kulturlandschaft drastisch umgebaut wurde. Dadurch sind Lebensmittel billig geblieben, gleichzeitig resultieren aber daraus auch viele der heutigen Kritikpunkte an der Landwirtschaft. Viele Landwirte wissen um dieses Dilemma, kommen aber unter den derzeitigen Rahmenbedingungen des Marktes aber auch nicht aus dieser Zwickmühle heraus. Wenn wir also eine andere Landwirtschaft wollen, dann sind es nicht nur die verlässlichen Zielbilder, an denen es fehlt. Es fehlt auch eine Antwort auf die Frage, mit welchen Lenkungsfunktionen ein neuer Kurs unterstützt und bestimmt werden kann. Der Markt alleine wird es nicht richten.
Von Dr. Jens Karl Wegener
Foto: Privat