Agrarhandel 2046....
Mit Tiefgang und vielen Facetten
Der Agrarhandel hat sich bis zum Jahr 2046 in vielen Belangen grundlegend verändert: An die Stelle des Massenumschlags von Agrarrohstoffen treten maßgeschneiderte Services. Das fordert eine zunehmend selbstbewusste und hochprofessionelle Kundschaft.
Foto: IMAGO/ Photonphoto
Agrarhandel 2046....
Mit Tiefgang und vielen Facetten
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Foto: Agravis
Pakete mit Zusatznutzen statt Spotgeschäft
Der Vorstandsvorsitzende der Agravis Raiffeisen AG in Münster, Dr. Dirk Köckler, geht davon aus, dass Landwirtschaft 2046 weiter flächendeckend betrieben wird – aber von deutlich weniger Erzeugern. Köckler zitiert die Studie der DZ-Bank, die mit nur noch 100.000 landwirtschaftlichen Betrieben im Jahr 2040 rechnet. Zum Vergleich: Aktuell sind es noch rund 263.000 Betriebe. Eckpunkt bleibe die Flächenbindung mit den unterschiedlichen Eigentumsstrukturen im Westen und Osten Deutschlands. „Fläche ist nicht vermehrbar, sie wird mehr und mehr Bewirtschaftungsanker für die Tierhaltung.“
Nachhaltiger Leistungskatalog
Der Agravis-CEO stellt sich darauf ein, dass die Landwirtschaft im Jahr 2046 in puncto Nachhaltigkeit weiter gefasst sein wird denn je. Treiber dieser Entwicklung sind der Klimawandel, die CO2-Effizienz, Erhaltung des Grundwasserkörpers, Vermeidung von Erosion, Ausbau der Biodiversität, Tierwohl, grüner Wasserstoff. Zu all diesen Schlagworten wird der Agrarhandel einen passenden Leistungskatalog bereithalten, um diesen einzubinden in eine „lösungsorientierte Ordnungspolitik“, wie es Köckler formuliert. Hier sieht der Agravis-CEO den genossenschaftlichen Agrarhandel in einer guten Ausgangsposition mit seinem breit gefächerten Portfolio und Beratungsangeboten.
Praktikable Tools
Darüber hinaus wird die anhaltende Tendenz zu weniger, aber dafür größeren Betriebseinheiten die Zahl der landwirtschaftlichen Kunden verringern und zu einer weiteren Konsolidierung im Agrarhandel führen. Die Agravis ist aber dennoch überzeugt, dass der Agrarhandel mit den Säulen Ernährung, Tierfütterung und Energieversorgung seine Systemrelevanz behalten und weiter fester Partner der Landwirte bleiben wird. Dabei wird die digitale Affinität der nachrückenden Generation die Händler in den kommenden 25 Jahren dazu bringen, digitale Technologien wie Blockchain, Robotik oder Sensorik in praktikable Tools zu überführen. Dabei ist laut Köckler eine sehr enge Verzahnung von Pflanzenbau, Tierhaltung und Landtechnik erforderlich, um innovativer Lösungsgeber für die Landwirtschaft zu sein. Konsolidierung aufseiten der Logistik-Standorte heißt für ihn, dass die Agrarhandelsstandorte in den kommenden Jahrzehnten weniger, aber dafür leistungsfähiger werden. Diese neuen Großstandorte werden nach Einschätzung Köcklers Produktionsaufgaben wie die Mischfutterherstellung, die Aufbereitung von Saatgut, die Erfassung, Lagerung und Vermarktung von Getreide und Raps, die Lagerung und Verladung von Dünger sowie die Lagerung und Auslieferung von Gefahrstoffen umfassen. „Dem Spotgeschäft mit Betriebsmitteln oder Getreide werden zunehmend Geschäftspakete mit Zusatznutzen gegenüberstehen“, erwartet Köckler. Dies gelte auch in vertikaler Integration vom Kauf des Saatgutes bis zur Vermarktung des Getreides.
Agravis CEO Dr. Dirk Köckler
Foto: Agravis
Foto: Baywa AG
Systemadministrator für KI-affine Landwirte
Im Jahr 2046 wird es noch Familienbetriebe geben, auch wenn sie deutlich größer sind als die heutigen. Mit dieser Einschätzung tritt die Baywa AG der Klischeevorstellung, in Zukunft gebe es nur noch „Agrarfabriken“ und der bäuerliche Betrieb habe ausgedient, entgegen. Ein Teil der Landwirte wird sich stärker für Biodiversität einsetzen und in einem hohen Maß Umweltleistungen erbringen, ist der Münchner Konzern weiter überzeugt. Dies hat eines zur Folge: „Neben den Öko-Betrieben werden auch die konventionellen Betriebe dank digitaler Tools den Betriebsmitteleinsatz deutlich reduzieren und sich kaum noch von Öko-Betrieben unterscheiden.“
Erneuerbare für Indoor-Farmen
Während dieser Trend bedeutet, dass Agrarhändler 2046 ein starkes Portfolio in der Digitalisierung benötigen, sieht die Baywa sich auch bei einer anderen Entwicklung gut aufgestellt: Da die Verstädterung weiter zunehmen werde und die Verbraucher verstärkt regionale Lebensmittel nachfragen, „werden stadtnahe Indoor-Farming-Konzepte Teil der Lebensmittelversorgung sein – und dies unter Einsatz von erneuerbaren Energien“. Für Letztere habe die Baywa 2008/09 mit der Gründung ihrer Erneuerbare-Energien-Sparte den Grundstein gelegt. Die Münchner Hauptgenossenschaft sieht sich 2046 darüber hinaus in der Rolle des „Systemadministrators und Beraters“ auf den landwirtschaftlichen Betrieben. Der Grund: Die Robotisierung der Landwirtschaft sei 2046 vollendet; vielleicht sogar die fliegende, bodenschonende Robotisierung. „Wir werden autonom arbeitende Maschinen haben, entweder auf dem Boden oder in der Luft, die präzise auf der Basis von Künstlicher Intelligenz (KI) das Land bewirtschaften. KI, die aktuell noch nicht alle Anforderungen der Landwirtschaft erfüllt, wird dann Stand der Technik sein“, lautet die weitere Zukunftsvision der Baywa. Über den Computer werde es möglich sein, den gesamten Betriebsablauf vom Schreibtisch aus aufeinander abzustimmen und zu lenken.
Internationaler Beschaffungsmarkt
Der Agrarhandelsstandort der Zukunft bettet sich nach Einschätzung der Münchner ein in eine Vielzahl an Kanälen, über die der Kunde mit dem Handel in Kontakt tritt. Der Standort als solcher ist digitalisiert, sodass die Prozesse schnell und effizient ablaufen, „aber trotzdem menschlich, persönlich an den Stellen, die für die Landwirtinnen und Landwirte wichtig sind“. Die Verzahnung von digitalen und stationären Services nimmt zu, ist die Baywa überzeugt. Viele Service-Themen werden per Fernwartung erledigt. Mit Blick auf den Agrarhandelsmarkt erwartet die Baywa, dass die Grenzen zwischen nationalen Akteuren und internationalen Playern verwischen: „Der räumliche Markt ist für alle unsere Produkte nicht mehr nur Deutschland, sondern es ist ein europäischer, internationaler aufgrund der Möglichkeiten der Digitalisierung.“ Der Beschaffungsmarkt werde zwar weiter internationaler, aber weiterhin wird es klassische Strukturen in den Regionen geben mit direkten Ansprechpartnern für die Landwirtinnen und Landwirte.
Digitalisierung vor allem bei Standardprozessen
Der Green Deal sowie weitere politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen werden bis 2046 einen großen Einfluss auf die Agrarbranche haben. Besonders im Betriebsmittelbereich gehe es daher darum, Produkte und Lösungen auf den Markt zu bringen, die eine nachhaltige und wirtschaftliche Landwirtschaft ermöglichen. Mit weniger Wirkstoffen im Pflanzenschutz und längeren Fruchtfolgen eine Rückkehr zur „guten alten Landwirtschaft“ zu sehen, ist aus Sicht der HaGe dagegen der falsche Weg. Es gehe vielmehr darum, mit Weiterentwicklungen wie Precision Farming den Weg der modernen Landwirtschaft voranzutreiben. „Weiter sehen wir unser Geschäft und unsere Serviceangebote rund um das Bodenleben, die Bodenqualität und die Kreislaufwirtschaft als wichtige Bestandteile in der Entwicklung unseres Unternehmens“, heißt es darüber hinaus von der HaGe. Um unter Nutzung der neuen Technologien im Strukturwandel zu bestehen, bedarf es nach Ansicht der Kieler einer „gewissen Schlagkraft“. Technische und digitale Entwicklungen werden immer Möglichkeiten zur Optimierung der Arbeitsprozesse bieten: „Aber die ackerbauliche Beratung oder die Begutachtung der Tiere im Stall bei der Futtermittelauswahl werden nach unserer Meinung auch in 25 Jahren nicht zu 100 Prozent digital ablaufen“, unterstreicht die HaGe.
Partner vor Ort
Die Begründung: Der Landwirt müsse immer auch kurzfristig und flexibel reagieren können. „Er braucht deshalb keinen ‚anonymen Partner‘, der weit weg von seinen lokalen Herausforderungen ist, sondern jemanden, der mit ihm vor Ort agieren kann“, beschreibt die HaGe die künftige Rolle des Agrarhandels. Für die Digitalisierung der Kundenbeziehung sieht die HaGe großes Potenzial bei Services zu Standardeinkäufen oder immer gleichen Prozessen. Auch der Handel mit Getreide und Ölsaaten werde bei einem Teil der Betriebe über börsenverknüpfte Tools laufen. Starke Allianzen in einem schrumpfenden Markt betrachten die Kieler unterdessen als „unausweichlich“. Das zeige sich weltweit auf fast allen globalisierten Märkten, besonders in denen mit geringen Margen. Ähnlich wie bei der Digitalisierung zeige sich hier, „dass die Agrarbranche noch ein Weg zu gehen hat“. Doch einen Markt, der nur noch von Großunternehmen beherrscht wird, erwarten die Kieler auch 2046 nicht: Es werde immer auch regional kleinere Marktteilnehmer geben, ist die HaGe überzeugt.
Vertikale Integration
Wachsende Forderungen aus der Verbraucherschaft und Politik nach mehr Nachhaltigkeit und Regionalität in der Lebensmittelerzeugung werden nach Einschätzung des Unternehmens der vertikalen Integration entlang der Lieferkette Vorschub leisten. „Die Nachfrage der Lebensmittelindustrie nach regionalen und nachhaltigen Produkten mit einer gewissen Nachverfolgbarkeit steigt stetig, sowohl für tierische als auch pflanzliche Erzeugnisse“, heißt es dazu aus Kiel. Die HaGe sieht hier den Agrarhandel gefordert, sich aktiv in die Wertschöpfungskette einzubringen. Der Konzern selbst geht hier erste Schritte mit dem Einstieg in die Erbsenverarbeitung mit einer Integration der Lieferkette vom Feld bis zum Teller.
Foto: HaGe Kiel