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01 75 Jahre agrarzeitung
02 Grußwort
03 Editorial & Redaktion
04 Probeabo bestellen
05 Agrarjournalismus
06 Themen
07 Klimawandel
08 Bioökonomie braucht Politik
09 Getreideernte 2046
10 Smarte Technologien
11 Schweinehaltung 2046
12 Vertical Farming
13 Russland 2046
14 Globale Märkte
15 Widerstandsfähige Pflanzen
16 Mensch und Maschine
17 Vielseitiger Experte
18 Agrarhandel 2046 (1)
19 Agrarhandel 2046 (2)
20 Meilensteine des Strukturwandels
21 Logbuch 2046
22 Interview Anthony van der Ley
23 Künstliche Intelligenz
24 Reduktion trifft Präzision
25 BASF fördert Biodiversität
26 Leidenschaft plus Strategie
27 Optimale Kombination
28 Technologien im Verbund
29 Volle Kraft ins Saatgut
30 Zukunft der Düngung
31 Veggie-Wurst statt Schweinekotelett
32 Interview Clemens Tönnies
33 Megatrend Nachhaltigkeit
34 KI, Sensoren und Plattformen
35 Schwachstellen im föderalen System
36 Agrarkommunikation
37 Gemeinsame Agrarpolitik
38 Ex-Kommissar im Gespräch
39 Berufsbild im Wandel
40 Know-how mit Weitblick
41 Karrieren und Chancen
42 Rückschaupanorama
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Gemeinsame Agrarpolitik


Das Ziel ist klar – der Weg noch offen

Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ist das Instrument, mit dem die EU-Einfluss auf die Produktionsweisen der Landwirtschaft nimmt. Die künftige Richtung der GAP scheint klar erkennbar: Öffentliches Geld für Nachhaltigkeit und Klimaschutzleistungen. Das sagen prominente Stimmen aus der Agrarpolitik zur Zukunft der Landwirtschaft in Europa.

Protokolle: Axel Mönch und Henrike Schirmacher

Kein „Grün“ mit roten Zahlen

Nur 11 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebsleiter sind jünger als 40 Jahre. Das zeugt von einer tiefen wirtschaftlichen, sozialen und berufsständischen Krise im EU-Agrarsektor. Mit Abwarten bekommt man den Generationswechsel nicht in den Griff. Die Gemeinsame Agrarpolitik muss dafür sorgen, junge Leute in den Sektor zu holen, ansonsten steht die Zukunft unserer Landwirtschaft auf dem Spiel. Um sich in Zukunft zu bewähren, braucht die GAP bis 2030 ein umfassendes Nachhaltigkeitskapitel. Der Klimawandel ist für uns keine abstrakte Größe. Er bedroht uns direkt. Unsere Generation ist entschlossen, viel mehr gegen den Klimawandel und gegen den Artenschwund zu unternehmen. Aber diese Ambitionen müssen in das wirtschaftliche und soziale Umfeld der Betriebe eingebunden werden und tragfähige Einkommen ermöglichen. Landwirte können nicht grün produzieren, wenn sie bereits in den roten Zahlen stecken. Die Mittel der GAP sollten sich daher auf den aktiven Landwirt fokussieren. Das beschleunigt den Generationswechsel und sorgt für einen belebten Markt für landwirtschaftliche Nutzflächen. Der Zugang zu Land stellt neben einer guten Ausbildung und einer hinreichenden Finanzierung eine Hürde dar. In der GAP 2030 sollte das Beachtung finden. Zudem bleibt ein angemessenes Einkommen für viele Landwirte unerfüllt. Zu oft müssen sie ihre Erzeugnisse unter den Produktionskosten anbieten. Sie leiden sowohl unter dem Preisdruck des Lebensmitteleinzelhandels und darunter, dass zwei von drei Verbrauchern keinesfalls mehr für ihre Lebensmittel zahlen wollen. Die GAP muss deshalb die Einkommen der Erzeuger besser schützen, indem sie die Stellung der Landwirte in der Lebensmittelkette stärkt. Landwirte sollten in der Lage sein, ihre Preise zu setzen, anstatt sie sich von ihren Abnehmern diktieren zu lassen.

Diana Lenzi, Präsidentin der Europäischen Junglandwirte (Ceja) Foto: Ceja

Eine Landwirtschaft mit Zukunft

Landwirtschaft braucht gute Strukturen für ihre Zukunft, denn das ist auch die Zukunft unserer Ernährung. Die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union wird sich in den kommenden 25 Jahren stärker gewandelt haben, als sie es in den vergangenen 25 Jahren hat. Von Butterbergen kommend, wird die 2-Säulen-Architektur nur ein Zwischenschritt gewesen sein, auf dem Weg hin zur Gemeinwohlprämie. Landwirtschaft und intakte Natur sowie Umwelt gehören unauflöslich zusammen. 2046 setzt Landwirtschaft ganz auf moderne agrarökologische Verfahren, fruchtbare Böden, artenreiche Wiesen und Felder, Tiere auf der Weide. Sie kommt den Wünschen der Bevölkerung nach einer artgerechten Tierhaltung und gesundem Essen nach, erhält die Biodiversität, schützt das Klima und damit ihre Betriebsgrundlagen. Die Gemeinwohlprämie ist das Ins­trument, mit dem wir eine vielfältige Betriebsstruktur erhalten können. Mit ihr werden Leistungen, die die Landwirtschaft für die Gesellschaft erbringt, die am Markt aber nicht bezahlt werden, angemessen vergütet. Aber auch die Gemeinwohlprämie läuft ins Leere, solange die unternehmerischen Rahmenbedingungen nur auf den Weltmarkt abzielen und von den Landwirt:innen gefordert wird, immer mehr für immer weniger zu produzieren. „Wachse oder weiche“ gilt es zu durchbrechen, „Klasse statt Masse“ wird sich lohnen. Das ganzheitliche Konzept berücksichtigt nicht nur die Produktionsseite, sondern ebenso sehr die Nachfrageseite. Angefangen bei Kitas und Schulen, Krankenhäusern und Altenheimen bis hin zum Buffet beim Rathausempfang, gehen öffentliche Stellen mit gutem Beispiel voran und ihre Marktmacht wird eingesetzt, um regionale und klimaverträgliche Landwirtschaft zu unterstützen. So bauen wir Wertschöpfung vor Ort wieder aus und erhalten die ländlichen Räume als lebenswerte Regionen. In 25 Jahren schauen wir auf die Corona-Pandemie zurück und haben hoffentlich dergleichen nicht noch mal erlebt und erlitten. Wir haben die Lektion gelernt, dass unsere Form des Wirtschaftens nicht langfristig hohe Kosten verursachen darf. Mit der Gemeinwohlprämie werden wir die richtigen Lehren gezogen haben, um das ursprüngliche Ziel der GAP auf Dauer zu erreichen: die Ernährungssicherung der Bevölkerung und einen klimagerechten Wohlstand. Renate Künast (B 90/Grüne), Mitglied im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft des Bundestages Foto: Chaperon

Unverhandelbare Grundprinzipien

Die europäische Landwirtschaft befindet sich an einem Wendepunkt. Ich stelle mit Wohlbehagen fest, dass die EU-Agrarpolitik (GAP) sich grünere Ziele gesetzt hat und sich den Erwartungen der Verbraucher nähert, die auf Qualität und Landschaft setzen. In meinen bisherigen Positionen als Landwirtschaftsminister und als EU-Agrarkommissar hatte ich das auch schon immer im Sinn. Landwirtschaft bedeutet mehr als die Schaffung von Arbeitsplätzen und beschränkt sich nicht nur auf wirtschaftliche Aspekte. Die Bedeutung der Landwirtschaft erkennen wir täglich auf unseren Tellern, und es sind die Landwirte, deren Arbeit unsere Landschaft erhält. Niemand kann diese besonderen Dimensionen der Landwirtschaft abstreiten. Leider haben wir manchmal ein anderes Bild von der Landwirtschaft im Kopf, und dieses negative Bild wird durch die Realität auch noch bestätigt: Eine intensive Landwirtschaft, die sich kaum um den Erhalt der Natur, um die Qualität des Wassers und um den Tierschutz kümmert. Wir müssen dafür sorgen, dass die GAP mit einem solchen Agrarmodell nicht in Verbindung gebracht wird, weil es von den Bürgern abgelehnt wird. Das heißt aber nicht, dass ich mir nur ein einziges und uniformes Agrarmodell vorstellen kann. Wir brauchen eine Vielzahl von Agrarmodellen, die eine ganz unterschiedlich geartete Nachfrage bedienen: Qualitätsprodukte, lokale Erzeugnisse, günstige Lebensmittel und für den Export bestimmte Produkte. Aber trotz der notwendigen Vielfalt dürfen wir keinesfalls auf einige wichtige Prinzipien verzichten. Der Schutz der Umwelt, die Qualität der Produkte und ein angemessenes Einkommen für die Landwirte sind Grundanforderungen, über die nach meiner Ansicht nicht verhandelt werden kann. Manchmal wünsche ich mir, dass die GAP-Reformen weitergehen würden und damit mehr zum Erhalt der ältesten vergemeinschafteten Politik betragen. Ich bin ungeduldig, aber auch zuversichtlich, dass wir das Ziel am Schluss erreichen. Dacian Ciolos, Europaabgeordneter der Liberalen und Ex-EU-Agrarkommissar Foto: Europaparlament

Unternehmertum im Fokus

Die Landwirtschaft im 100. Gründungsjahr der agrarzeitung (az) wird sich grundlegend gewandelt haben. Man wird sich noch gut erinnern an die Zeit des Umbruchs um 2020, an „Wir haben es satt“ und Traktorendemos. Und man wird froh sein, dass in den darauffolgenden Jahren Lobbyinteressen jeglicher Couleur endlich nicht mehr im Mittelpunkt der Agrarpolitik standen, weil die gut ausgebildete junge Generation den Transformationsprozess angepackt hat. Die flächengebundenen Direktzahlungen waren der Gesellschaft ebenso wenig zu vermitteln wie eine Produk­tionsweise, die mit importierten Futtermitteln Tiere mästete, deren Ausscheidungen hier behielt und das Fleisch als Billigprodukt in den Export schickte. Stattdessen war die Erwartung, hochwertige Lebensmittel im Einklang mit Umwelt- und Klimaschutz zu erzeugen sowie unsere Kulturlandschaft zu erhalten. Die SPD hat sich diese Erkenntnisse der Agrarwissenschaften zu eigen gemacht und eine Umgestaltung nach dem Prinzip „Öffentliche Gelder für Öffentliche Leistungen“ angeschoben. An die Stelle der Flächenzahlungen ist im Jahr 2046 das System der Gemeinwohlprämien getreten, das klare Anreize für eine effektive Honorierung von Umwelt- und Klimaschutzleistungen setzt und damit auch unternehmerisches Handeln fördert. Im Jahre 2046 spielt die Fokussierung auf den Weltmarkt und die dortigen Preisschwankungen keine Rolle mehr. Unsere Landwirtschaft ist zu geschlossenen Nährstoffkreisläufen und einem Tierbesatz von flächendeckend nicht mehr als zwei Großvieheinheiten pro Hektar zurückgekehrt. Dies war aber nur möglich, weil neben die bisherige Gemeinsame Agrarpolitik ein Instrument zur gezielten Nachfragestärkung getreten ist: Der Einkauf regional und nachhaltig erzeugter Lebensmittel für die öffentliche Gemeinschaftsverpflegung wird nun vom Bund gefördert. So können landwirtschaftliche Betriebe ihre Produkte deutlich besser vor Ort und zu angemessenen Preisen verkaufen. Gesunde Ernährung in Kita und Schule bedeutet zudem Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen in unserem Land. Auch eine deutliche Entlastung des Gesundheitssystems durch den starken Rückgang ernährungsbedingter Erkrankungen ist 2046 Wirklichkeit. Alles nur ein Traum? Nicht, wenn wir es jetzt angehen. Rainer Spiering (SPD), Obmann im Ausschussfür Ernährung und Landwirtschaft des Bundestages Foto: Privat

Gut, sauber und fair

Die aktuelle Krise der Landwirtschaft in Europa zeigt, dass das Modell einer export- und wachstumsorientierten Intensiv-Landwirtschaft zwar dem Handel und der Lebensmittelindustrie satte Gewinne beschert. Es respektiert allerdings weder die Wünsche der Verbraucher noch kann es den Bauern ein angemessenes Einkommen sichern. Dabei geht dieses Modell mit einem hohen Maß an Umweltverschmutzung, Verlust von Biodiversität sowie Tierleid einher. Dies kritisieren nicht nur Verbraucher und Umweltgruppen, sondern auch viele wissenschaftliche Sachverständige und regierungsberatende Gremien in Europa seit Jahren. Ich plädiere dafür, die Fördergelder der Gemeinsamen Agrarpolitik in Systeme zu investieren, deren besondere Umweltverträglichkeit international ausreichend häufig wissenschaftlich beschrieben wurde: zum Beispiel dem Ökolandbau. Dieser liegt nämlich nicht nur bei der Umweltperformance und Tierhaltung vorn, er hat auch für die Qualität der verarbeiteten Lebensmittel Pionierarbeit geleistet. Die Verwendung von Zusatzstoffen sowie Aromen und Farben ist bei Bio-Produkten bewusst stark eingeschränkt. In der konventionellen Herstellung sind fünfmal mehr Zusatzstoffe erlaubt als in der Bio-Verarbeitung. Es ist das ganze System, das wir uns anschauen müssen, vom Acker bis zum Teller – und aktuell läuft da einiges schief. Deshalb war es ermutigend zu sehen, dass die EU-Kommission mit ihrer „Farm-to-Fork“-Strategie einen ganzheitlichen Ansatz gewählt hat, um das Agri-Food-System zukunftsfähig zu machen. Leider erlebe ich gerade hautnah mit, wie Ewiggestrige diesen guten Ansatz im Parlament schon wieder aus Wirtschaftsinteressen bombardieren. Viel zu viele Entscheidungsträger haben eben noch nicht begriffen, dass wir uns allzu bald gar nicht mehr ernähren können, wenn wir nicht ökologischer und gesünder wirtschaften. Slowfood hat dafür den richtigen Slogan: Gut, sauber und fair. So sollte unser Essen sein, aber auch die Landwirtschaft, die es produziert. Sarah Wiener, Abgeordnete der Grünen im Europaparlament Foto: Wiener