So geht Precision Farming weiter
Technologische Integration und der digitale Zwilling prägen die nächste Stufe
VON OLAF DEININGER
Landwirtschaftliches Informationszentrum im Technologie-Park In Fujin im Nordosten Chinas. Foto: IMAGO/XINHUA
Intelligente Feldspritzen, die Unkraut erkennen und gezielt bekämpfen, sparen 75 Prozent an Pflanzenschutzmitteln
So geht Precision Farming weiter
Technologische Integration und der digitale Zwilling prägen die nächste Stufe
FOTO: IMAGO/XINHUA
Präzise Aussaat, Teilflächenbehandlung, Einzeltiermanagement, Farm-Management-Systeme. Wer diese Methoden oder Lösungen nicht bereits nutzt, der führt sie gerade ein. Wer sie nicht gerade einführt, der spricht aktuell mit Lösungsanbietern. Wer auch das nicht tut, der verschafft sich einen Überblick. Oder überlegt sich, wann er das einführt. Precision Farming ist also gesetzt – und wird umgesetzt.
Die Frage ist: Wie geht es weiter? Was ist beim Precision Farming der nächste Schritt? Und zwar sowohl aus Sicht des Betriebs als auch aus Sicht des Lieferanten- und Betriebsmittelmarktes.
Einen wichtigen Aspekt der weiteren Entwicklung zeigen die Nahrungsmittelindustrie und der Lebensmitteleinzelhandel (LEH): Beide Branchen arbeiten hochgradig integriert. Technologisch gesprochen kommunizieren die digitalen Systeme der Hersteller und des Handels miteinander, stimmen Bedarfe und Bestellungen untereinander ab. Am deutlichsten zeigt sich das etwa bei Produktrückrufen – ein Bereich, der weitgehend komplett digital abgewickelt wird. Der Vorteil dabei: Die Dokumentation der Vorgänge läuft automatisch mit. Digitale Protokolle halten jede Maßnahme und ihre Umsetzung fest. Die Systeme erledigen sozusagen ihre Bürokratie gleich selbst.
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Komplett integrierte Lieferkette
Doch weiter nach vorne in der Lebensmittellieferkette, also weiter in Richtung Erzeuger, reißt die kommunikative Verbindung ab. Noch. Aber das wird sich ändern. Denn die zunehmende Integration zwischen Industrie und LEH ist eine der Blaupausen für die Agrarbranche in der Zukunft.
So wird das Lieferkettengesetz dafür sorgen, dass die Lieferketten nicht nur transparenter werden, sondern auch nachhaltigen, sozialen und gesellschaftlichen Kriterien genügen – und die Belege für die Erfüllung dieser Kriterien erzeugt werden. Leicht nachvollziehbar, dass dies kaum mehr mit Lieferscheinen auf Papier darstellbar ist, wenn man die Betriebe nicht mit noch mehr Bürokratie belasten möchte.
Auch der Einwand, dass viele Agrarprodukte als Schüttgut transportiert und verarbeitet werden und sich dabei mit Schüttgut anderer Herkunft vermischen, greift kaum. Das wird bestenfalls in einer Übergangszeit geduldet. Dafür sorgen auch technologische Entwicklungen: RFID- oder NFC-Tags sind mittlerweile preiswerte Massengüter. Erste Start-ups haben diese Technologie bereits in essbare Lebensmittelfarben implementiert, die etwa auf Äpfel aufgesprüht werden können und Informationen über Herkunft, Erzeugungsmethoden und Behandlungsarten enthalten. Wahrscheinlich kann man dies auch bald auf einem Getreide- oder Reiskorn aufbringen.
Reicht die digitale Integration tatsächlich bis zum Hof oder bis zum Ackerschlag, dann dauert es nicht mehr lange, bis die Informationen mitgeführt werden, wann das Feld wie und von welchem Gerät bearbeitet wurde, wie gedüngt oder wann welches Pflanzenschutzmittel einsetzt wurde. Die Daten stammen von den Bearbeitungs- und Ausbringgeräten und werden genauso einfach übernommen, wie heute in den Supermärkten die Registrierkassen die Verkaufsdaten an die Warenwirtschaftssysteme übermitteln und wo auf Basis des hochgerechneten Verkaufs die Nachbestellungen automatisch ausgelöst werden.
Kleine RFID- oder NFC-Tags werden aber nicht nur für das Tracking und die Nachverfolgung der Chargen eingesetzt. Angeschlossen an Sensoren und vernetzt mit dem betriebseigenen LAN oder dem Wide Area Network (in Deutschland auch „Weitverkehrsnetz“), das bereits heute existiert und kleine Datenmengen über große Entfernungen transportieren kann, überwachen die Tags Füllmengen, Auslastungen, Temperatur und Feuchtigkeitswerte etwa in Silos, Mieten, Tanks, Scheunen oder Lagerhäusern.
Ausbringgeräte „erinnern“ digital und mit GPS-Unterstützung, was sie wo und wann auf jedem einzelnen Quadratmeter eines jeden Feldes ausgebracht haben. Viele moderne Maschinen und Geräte geben Daten über ihren aktuellen Zustand nicht nur an die Hersteller durch, sondern zusammen mit den oben erwähnten Produktionsdaten auch an Farm-Management-Software weiter, wo sie im Betrieb verarbeitet und analysiert werden.
Betriebsstatus in Echtzeit
Aus all diesen Daten lässt sich zusammengefasst ein digitales Abbild des aktuellen Status oder Zustands des Betriebs erstellen. Experten nennen das „Digitaler Zwilling“. Der Unternehmer erhält so einen optimalen Überblick, kann für Nachbestellungen etwa Meldebestände definieren oder ermitteln lassen. Er kann Erträge analysieren und verfügt über die komplette Produktionshistorie seines Betriebs.
Und das Beste daran: Er kann die von ihm geforderten Dokumentationen direkt digital an die entsprechenden Einrichtungen senden. Praktisch wie die Steuer-Plattform Elster – nur für die Landwirtschaft.
Neue Geschäftsmodelle in der Landwirtschaft
Pay per Use
Immer mehr Hersteller von technischen oder digitalen Lösungen bieten ihre Produkte nicht nur zum Kauf oder zur Miete an, sondern nach entsprechender Nutzung. So werden die Geräte praktisch ohne weiteren Aufwand oder Kosten zur Verfügung gestellt. Der Nutzer bezahlt die Arbeit der Maschine. Die Palette reicht hier von Profi-Spülmaschinen, die pro gespültem Teller abrechnen, bis zu bearbeiteter Fläche in der Landwirtschaft.
Abo-Modell
Ähnlich wie bei Zeitschriften-Abonnements wird ein Gerät oder eine meist digitale Lösung für einen bestimmten Zeitraum abonniert und kann solange genutzt werden. Das wird vor allem in den Bereichen praktiziert, in denen sich das Produkt nicht abnutzt – wie bei Software.
Digitales Ökosystem
Hier werden unterschiedliche Produkte oder Dienstleistungen zu einer Produktwelt gebündelt. Der Vorteil liegt darin, dass die einzelnen Produkte sich gegenseitig ergänzen. Endverbraucher kennen dieses Prinzip beispielsweise von der Produktwelt um das Apple iPhone.
Everything as a Service
Dieses Prinzip, dass Firmen Produkte, die bislang überwiegend nur als Hardware verfügbar waren, nun als Dienstleistung kaufen können, kennt man in der Landwirtschaft, etwa als Lohnunternehmer, schon länger.