Schweinehaltung im Jahr 2046
Fleisch, Obst und Gemüse aus den Dammer Bergen
Mit ihrem Konzept einer „Schweinevilla“ gewann Katharina Münch im Jahr 2020 den 1. Preis eines Architekturwettbewerbs des Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (KTBL) und der Stiftung LV Münster. Foto: Münch
Im Jahr 2046 ist das Oldenburger Münsterland noch immer eine Hochburg der Schweinehaltung. Die Ställe haben sich genauso stark verändert wie der Kontakt zum Konsumenten und die Strategien zur Vermarktung der Tiere.
Lars Enneking schaut vom Balkon seines Büros auf Gärten, Ställe, Hecken und Streuobstwiesen. Der 45-jährige Landwirt aus Damme im Oldenburger Münsterland ist in der achten Generation stolzer Bauer und Herr über mehr als 1.000 Schweine. Die Tiere leben in Dutzenden Ställen rund um die Hofstelle, die außerhalb des Stadtkerns am Fuße der Dammer Berge in Niedersachsen liegt. „Das sind keine Ställe, das sind unsere Schweinevillen“, berichtigt mich der Vater von vier Kindern, der einen Abschluss als Agraringenieur mit dem Schwerpunkt Nachhaltige Schweinehaltung an der Hochschule Osnabrück gemacht hat. Inspiriert wurde das Haltungskonzept durch die Gewinnerin eines Architekturwettbewerbs im Jahr 2020. Die Studentin Katharina Münch von der Technischen Universität Darmstadt hatte damals ein Konzept vorgelegt, das unter den damaligen Voraussetzungen zwar nicht umsetzbar erschien, die Jury aber dennoch beeindruckte.
Software mit Gesundheitsindex
Die Mastschweine leben in Gruppen von jeweils 50 Tieren in 20 Villen, die alle gleich aufgebaut sind. In einer 200 Quadratmeter großen Villa sind die Fütterungstechnik, ein Abteil für erkrankte Tiere und die Lager für Futter und Stroh untergebracht. Alle Tiere sind mit Transpondern ausgestattet, mit denen sie an den Futterautomaten erkannt werden. So wird erfasst, wie oft und wie viel die Tiere fressen. Aufgezeichnet werden auch die Bewegungsprofile und die Herzfrequenz. „Aus den Daten ermittelt eine Software einen Gesundheitsindex“, erläutert Lars Enneking. Auffällige Tiere werden beim Verlassen der Futterstation von einer Sortierschleuse in ein Krankenabteil geleitet, wo sie untersucht werden können.
Kobold senkt die Keimbelastung
In jedem Stall fährt ein mobiler Roboter pausenlos hin und her, um den Boden sauber zu halten und Stroh nachzustreuen. Kameras registrieren, wenn ein Tier Kot oder Urin ausgeschieden hat, und der „Kobold“ erhält den Befehl zum Reinigen. Enneking hat die Anschaffung der Roboter nicht bereut: „Seit unsere kleinen Helfer den Schweinen feucht hinterherwischen, sind die Infektionen und die Emissionen auf nahezu null zurückgegangen und auch die Arbeitsbedingungen haben sich deutlich verbessert.“ Kot und Urin werden getrennt aufgenommen und zur Düngemittelerzeugung und Biogasproduktion weiterverwendet. In ähnlich aufgebauten Schweinevillen leben jeweils zehn Sauen in Gruppen. Mit zwei Würfen pro Jahr und rund zehn Ferkeln je Wurf sind die Sauen deutlich weniger produktiv als zu Beginn des Jahrhunderts. „Unsere Kunden wünschen sich einen sanften und möglichst natürlichen Umgang mit den Tieren“, begründet der Schweinehalter die extensive Bestandsführung. Dazu gehört auch, dass die Sauen durch Eber natürlich besamt werden. Und auch auf jede Form der Kastration, ob nun chirurgisch oder chemisch, wird verzichtet. Die männlichen Tiere werden geschlachtet, bevor sie geschlechtsreif werden und die Hormone bilden, die für den unangenehmen Ebergeruch verantwortlich sind. Die weiblichen Schlachtschweine kommen dagegen erst mit einem Gewicht von rund 160 kg an den Schlachthaken.
Überdachte Terrassen und viel Auslauf
Umgeben sind die Ställe von einer überdachten Terrasse, an die sich zwölf jeweils 500 Quadratmeter große Freiflächen anschließen. Jeweils einer der Sektoren steht den Schweinen einen Monat lang zur Verfügung, um dort nach Futter zu suchen, sich zu suhlen oder auszuruhen. Die gerade nicht benötigten Flächen können sich erholen und werden vom Frühjahr bis in den Herbst als Gärten genutzt, die mit den Nährstoffen aus der Schweinehaltung gedüngt werden. Kleine Feldroboter bauen Gemüse und Blumen an. Obstbäume bieten den Schweinen Schatten. Umgeben sind die Sektoren von Hecken aus Beerensträuchern, die Windschutz für die Schweine und Nistmöglichkeiten für Vögel bieten. „Mit der Vermarktung des Obstes und Gemüses habe ich keine Arbeit“, berichtet Enneking. Kunden aus der näheren Umgebung haben die Flächen gepachtet und erwerben so auch alles, was dort wächst. Die Pachteinnahmen sind für den Betrieb eine wichtige und verlässliche Einnahmequelle, genauso wie die Umweltprämien für die Hecken und Obstbäume. Viele Familien kommen am Wochenende selbst zum Ernten, andere lassen sich Salat, Gurken, Kohlrabi und Grünkohl per Drohne in die Küche liefern. „Viele der Gemüsebauern kaufen auch unser Fleisch, schließlich sehen sie, dass es den Tieren gut geht“, verweist der Mäster auf einen positiven Nebeneffekt. Der größere Teil wird aber an feste Abnehmer wie Metzgereien und Fleischverarbeiter sowie über eine Plattform im Internet vermarktet.
Das Fleisch ist wesentlich teurer als das Cultured Meat, das inzwischen die klassische Fleischproduktion vom Massenmarkt verdrängt hat. „Unsere Kunden legen Wert auf Natürlichkeit und sind sehr traditionsbewusst“, weiß der Schweinehalter aus Gesprächen. Sie misstrauen den industriell gefertigten Ersatzprodukten und ernähren sich weitgehend pflanzlich. „Ab und zu soll es aber ein Braten, ein Steak oder ein echter Schinken sein“, und diese Nachfrage will Lars Enneking bedienen.
Die Verantwortung des Einzelhandels für die Landwirtschaft
Durchhandeln bis zum Konsumenten
Die Tiere werden beim Betreten des Futterbereichs gewogen und von oben und der Seite fotografiert. Die Verarbeitung der Daten erlaubt es nicht nur, das ideale Schlachtgewicht zu ermitteln, sondern auch eine Vorhersage zu Größe und Qualität der Teilstücke zu machen. „So kann eine Software die Lachse, Schinken, Kotelettstränge und Bäuche schon Tage vor dem Schlachttermin dem Kunden zuordnen, der so besser planen kann“, beschreibt Enneking die Vorteile der Tierkörperbewertung. Einmal in der Woche ist Schlachttag. Dann kommt ein mobiler Schlachter auf den Hof. Die Schweinehälften werden anschließend von einem Fleischverarbeiter feinzerlegt. Über Preise für Schlachtschweine muss sich Enneking keine Gedanken machen. Abgerechnet wird mit dem Schlachter und Zerleger lediglich die Dienstleistung, zu der auch das Verpacken und Versenden gehört. Die Vermarktung des Fleisches hat der Landwirt damit selbst in der Hand. Sein Vater stand noch am Ende der Wertschöpfungskette und war dem Schweinemarkt ausgeliefert. „Ich bin heute Herr über meine Erzeugnisse und kann sie bis zum Konsumenten durchhandeln“, sagt der Schweinehalter. So kommt er immer wieder mit seinen Kunden in Kontakt. „Das direkte Feedback ist mir wichtig, schließlich wollen wir durch Zucht, Fütterung und eine stressfreie Haltung ein Fleisch anbieten, das hervorragend schmeckt“, beschreibt er seine Motivation und nennt noch einen weiteren Aspekt: „Jeder kann kommen und sehen, dass es den Tieren gut geht. Nur diese Akzeptanz verschafft uns das Recht, Tiere zu unserem Genuss zu nutzen und zu töten.“
Von Steffen Bach