Schwachstellen im föderalen System
Persönliche Befindlichkeiten und Handlungsunfähigkeiten
Fotos: Imago / Future Image / Photothek
Politik soll effizienter werden. Auf Bundesebene könnte eine Fusion von Ministerien Abhilfe leisten. Daran glaubt zumindest der grüne Co-Parteivorsitzende Robert Habeck. Eine Umsetzung birgt allerdings personelle Hürden.
Während einer Podiumsdiskussion des Deutschen Bauernverbands in diesem Jahr wurde der grüne Co-Parteivorsitzende Robert Habeck gefragt, ob er sich vorstellen könne, Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) und Bundesumweltministerium (BMU) zusammenzuführen. Er antwortete: „Man kann Umweltpolitik nicht gegen das Agrarministerium durchsetzen und es kann keine Umweltministerin geben, die nicht an das Einkommen der Landwirte denkt.“ Es sei „einfacher, schlanker, effizienter“ aus diesen zwei Ministerin eins zu machen. „Dann wäre es weniger ein unfruchtbares hü und hott“, meinte der Grünen-Politiker. Als die beiden Chefinnen der jeweiligen Bundesressorts von der agrarzeitung (az) während einer Pressekonferenz dazu gefragt wurden, mussten beide lachen. Es komme darauf an, wer wen übernehme. Da haben die beiden Ministerinnen womöglich den Nagel auf den Kopf getroffen.
Flasbarth als Staatssekretär im BMEL
Stellen wir uns vor Jochen Flasbarth, der aktuell Staatssekretär im BMU ist, würde das BMEL übernehmen und entsprechend als ranghöchster Beamter den Führungsstab eines Ressorts, das in der Vergangenheit überwiegend von CDU/CSU-Politikern geführt wurde, übernehmen. Es könnte ihm im neuen Umfeld tatsächlich an Gefolgschaft fehlen. Flasbarth ist nämlich nicht nur SPD-Mitglied, sondern überdies der ehemalige Präsident des Umweltbundesamtes und ein passionierter Umwelt- und Naturschützer. Kaum vorstellbar, dass man Flasbarth, der von Landwirt:innen für seine Konsequenz in der Durchsetzung von Umwelt- und Klimaschutz in der Agrarlandschaft gefürchtet wird, dort auch nur einen Achtungserfolg gönnen würde. Nachdem das Bundeskabinett in diesem Frühjahr das umstrittene Insektenschutzgesetz verabschiedet hatte, verkündete Flasbarth zufrieden auf Twitter: „Ich bin wirklich froh, dass wir zuletzt eine gute Einigung mit dem BMEL zum Insektenschutz und - neben dem Aus für Glyphosat - zu einer deutlichen Minderung von Pflanzenschutzmitteln erreicht haben. Ordnungsrecht, Vertragsnaturschutz, Vereinbarungen - ein guter Mix!“ Seine Kollegin im BMEL Staatssekretärin Beate Kasch besitzt zwar keinen eigenen Twitter-Account. Aber mit einem Aus für das umstrittene Totalherbizid Glyphosat hätte sie sich wohl definitiv nicht gebrüstet. Die diplomatischen Formulierungen von Kaschs Chefin Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) zum Insektenschutzgesetz lassen allerdings doch Hoffnungen auf eine Fusion der beiden Ministerin zu. Das Gesetz habe Auswirkungen - auf Insekten, aber auch auf die Landwirte, so Klöckner im Bundestag.
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Agro-Photovoltaikanlagen haben Zukunftspotential
Auch Flasbarth kann BMU und BMEL unter einen Hut bringen: „Auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045 benötigen wir deutlich mehr Erneuerbare Energien. Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien brauchen wir viel mehr Kreativität, wie wir Nutzungskonflikte bei den verfügbaren Flächen auflösen können. Deshalb ist die Erprobung von Mehrfachnutzungen von landwirtschaftlicher Produktion und darüberliegender Photovoltaik eine innovative Lösung mit viel Zukunftspotenzial“, sagte er während eines Besuchs der Steinicke GmbH in Niedersachsen. Das BMU unterstützt das Vorhaben der Firma eine Agro-Photovoltaikanlage erstmals in großtechnischem Maßstab umzusetzen. „Das ist eine Win-Win-Situation für das Klima, für eine zukunftsfähige Landwirtschaft und die Lebensmittelerzeugung“, sagt ein Flasbarth, der sich tatsächlich gut im BMEL machen würde. Im Gegensatz zu konventionellen Freiflächen-Photovoltaikanlagen, die bodennah errichtet werden, plant das Unternehmen eine höhere Aufständerung und größere Reihenabstände zwischen den einzelnen Modulen. Die Fläche kann entsprechend zusätzlich für die landwirtschaftliche Bestellung auch mit landwirtschaftlichen Maschinen genutzt werden. Außerdem verfügt die Agro-Photovoltaikanlage über zweiseitige Zellen, die das einfallende Licht nicht nur über die Vorder-, sondern auch über die Rückseite nutzen, und erzeugt so im Vergleich zu konventionellen Photovoltaikanlagen einen höheren Stromertrag. Der Strom soll für den Eigenbedarf, wie zum Beispiel den Trocknungsprozess, eingesetzt werden. Darüber hinaus wird der Boden unter den Modulen von diesen beschattet, was weitere positive Effekte mit sich bringt, zum Beispiel den Erhalt der Bodenfeuchtigkeit und die Verringerung der Erosion und des Wasserverbrauchs. Unterhalb der PV-Anlage entsteht so eine Bodenstruktur mit günstigem Mikroklima, was einen Beitrag für eine umwelt- und klimafreundliche und damit zukunftsfähige Landwirtschaft darstellt. Dass Landwirtschaft- und Umweltministerium nach Habecks Wünschen Hand in Hand gehen sollten, bleibt auf Bundesebene aber wohl ein frommer Wunsch. Zwar hat Habeck als ehemaliger Minister für Umwelt und Landwirtschaft in Schleswig-Holstein Erfahrung, wie es ist, beides unter einen Hut zu bringen. Aber folgt man den Erläuterungen von Politikwissenschaftler Prof. Frank Nullmeier im az-Interview, wäre im Bund wohl eher Chaos programmiert.
Von Henrike Schirmacher