360-Grad-Blick für die Bioökonomie
Hohenheim entwickelt das Brot der Zukunft
Um das Geheimnis besserer Weizenqualität zu lüften, organisiert Friedrich Longin manchen Backmarathon – wie hier auf der Schwäbischen Alb mit 42 Brotlaiben im Test. Foto: Beckabeck
360-Grad-Blick für die Bioökonomie
Hohenheim entwickelt das Brot der Zukunft
Foto: Beckabeck
Bioökonomie ist eine Team-Leistung: Unterschiedlichste Disziplinen erforschen, wie Brot künftig von der Züchtung bis zur Bäckertheke alle Ansprüche an die Nachhaltigkeit erfüllt.
Damit die Wende hin zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise gelingen kann, greifen an der Universität Hohenheim viele Forschungsansätze ineinander. Von der Züchtung neuer Getreidesorten, die dem Klimawandel trotzen, über den ökologischen Fußabdruck von Bäckereien und ernährungsphysiologischen Aspekten bis hin zur Verwertung von Altbackwaren für die Herstellung von Bio-Plastik. Dieser 360-Grad-Blick prägt die Hohenheimer Forschung zum „Brot der Zukunft“.
Klimawandel stellt Züchtung vor Herausforderungen
An den Getreidesorten für das Mehl, aus dem unser Brot in ein paar Jahrzehnten gebacken wird, arbeitet die Pflanzenzüchtung schon heute. Grundlagen bietet die Züchtungsforschung der Universitäten. Aus heutiger Sicht wird es wie bisher darum gehen, leistungsstarke Sorten mit hohem Ertrag und ausreichendem Proteingehalt bereitzustellen, deren Mehl sich gut verarbeiten lässt. Wichtiger wird aber, die Erträge und Qualitäten effizienter bereitzustellen – also mit einem geringeren Verbrauch von Wasser, Nährstoffen und Pflanzenschutzmitteln. Gleichzeitig müssen die Sorten in der Lage sein, den Bedingungen des Klimawandels standzuhalten. Mit welchen konkreten Temperaturen und CO2-Gehalten Landwirte möglicherweise im Jahr 2050 rechnen müssen, hat eine Forschergruppe der Uni Hohenheim im 2018 abgeschlossenen Projekt „Regionaler Klimawandel“ bereits simuliert. Dazu bauten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Weizen in Klimakammern an, um die Reaktionen zu testen. Sie fanden heraus, dass die absehbar steigende CO2-Konzentration in der Luft zwar das Pflanzenwachstum fördert, weil das Treibhausgas wie ein Dünger wirkt. Allerdings haben die Versuche ebenfalls gezeigt, dass die Weizenqualität litt. Daraus leitet sich für die Züchtung die Aufgabe ab, robuste Getreidesorten zu entwickeln, die auch unter den sich verändernden Umwelt- und Anbaubedingungen stabile Qualität aufweisen.
Einfluss von Sorte und Umwelt wird analysiert
Dafür haben sich etliche Hohenheimer Forscherinnen und Forscher unterschiedlicher Fachbereiche mit anderen wissenschaftlichen Einrichtungen und Partnern aus der Wirtschaft im Winter 2019/20 eng vernetzt. Das aktuelle Projekt „BETTERWHEAT“, das über ein Fördervolumen von rund einer Million Euro verfügt, widmet sich der Qualität von Weizensorten unter variierenden Umweltbedingungen. Neben der Universität Hohenheim sind die Universitätsmedizin Mainz und die Züchtungsfirmen DSV, Limagrain, KWS und W. von Borries-Eckendorf beteiligt. Die Partner kultivieren rund 300 verschiedene Weizensorten in unterschiedlichen Anbauregionen und analysieren den Sorteneinfluss auf Ertrag, Krankheitsresistenz sowie Backeigenschaften und gesundheitsrelevante Inhaltsstoffe. Für Prof. Dr. Friedrich Longin von der Hohenheimer Landessaatzuchtanstalt, der das Projekt BETTERWHEAT leitet, ist es besonders wichtig, bei so vielen Merkmalen den Einfluss von Sorte und Umwelt voneinander abzugrenzen. „Hier leisten wir Pionierarbeit, die für die heimische Weizenzüchtung und die Entwicklung neuer Weizenprodukte hochrelevant ist und zudem unser allgemeines Verständnis für den Einfluss von Umweltfaktoren auf die Getreidequalität verbessert“, erläutert Longin die Bedeutung der Studien. Der Wissenschaftler ist auch gefragt, wenn Züchter nach einer breiteren genetische Grundlage suchen, die einerseits die Anpassung an extremeres Wetter erlauben und andererseits dem Verbraucherwunsch nach mehr Vielfalt entsprechen. Als Leiter der Arbeitsgruppe Weizen an der Landessaatzuchtanstalt ist Longin ständig auf dem Acker, in Laboren und in Backstuben unterwegs, um alte Triticum-Arten wie Dinkel, Emmer und Einkorn mit modernen Weizensorten zu vergleichen. „Mir liegt unser tägliches Brot am Herzen“, begründet der studierte Agrarbiologe und promovierte Pflanzenzüchter sein Engagement.
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Bessere Backeigenschaften bei weniger Düngung
Die Kriterien, mit denen die Qualität von Getreide bemessen wird, gehören allerdings dringend auf den Prüfstand, ist Prof. Dr. Christian Zörb vom Hohenheimer Fachgebiet Qualität pflanzlicher Erzeugnisse überzeugt. Bislang zählt vor allem der Eiweißgehalt des Weizens, der die Vermarktungschancen und den Weizenpreis bestimmt. Hohe Proteingehalte erfordern jedoch eine hohe Stickstoffdüngung, die aus Umweltgründen nicht mehr erwünscht ist. Deswegen erforscht Zörb mit seinem Team den Zusammenhang von Proteingehalt und Backqualität. „Erste Versuchsergebnisse belegen, dass weniger die Proteinmenge insgesamt, sondern vor allem die Zusammensetzung und die Qualität der Proteine entscheidend ist“, so der Wissenschaftler. Er geht davon aus, dass sich mit angepassten Kriterien und einer gezielteren Düngung ohne Einbußen der Backqualität weltweit bis zu einem Viertel der Stickstoffdüngung beim Anbau von Weizen einsparen ließe.
Innovative Technologien analysieren die Mehlqualität
Häufig wird die Weizenqualität aber auch deswegen mit so simplen Kriterien wie dem Proteingehalt beschrieben, weil es schwierig ist, in der Vermarktungskette die komplexen Qualitätskriterien schnell zu bestimmen. Deswegen arbeiten die Fachleute am Fachgebiet für Prozessanalytik und Getreidewissenschaft daran, ein Spektroskopie-Verfahren zu etablieren: Ziel ist, neben den Konzentrationen von Eiweiß und Stärke insbesondere die Backeigenschaft vorherzusagen, die bislang nur über aufwendige Backversuche sicher bestimmt werden kann. Wichtig ist es dabei, dass die neuen Technologien praktikabel und kostengünstig eingesetzt werden können.
Bekömmlichkeit für Mensch und Umwelt
Alle Bemühungen um eine bessere Weizenqualität verpuffen aber, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher den Weizenerzeugnissen misstrauen. Manche Verdauungsprobleme werden auf den Weizenkonsum zurückgeführt. Woher Unverträglichkeiten kommen, untersucht Prof. Dr. med. Stephan C. Bischoff vom Hohenheimer Institut für Ernährungsmedizin in einer großen Humanstudie. Ein weiteres aktuelles Projekt am Hohenheimer Fachgebiet Prozessanalytik und Getreidewissenschaft wirft einen umfassenden Blick auf die Abläufe in den Bäckereien. Computermodelle sollen dabei helfen, die Prozesse so zu optimieren, dass Energieverbrauch und CO2-Ausstoß minimiert werden und möglichst keine Lebensmittelabfälle anfallen.
Altbackwaren als Rohstoff für Plastik
Da sich Abfälle in Bäckereien aber nicht vollständig vermeiden lassen, suchen die Hohenheimer schließlich nach einer möglichst nachhaltigen Verwertung: Als Non-Food-Biomasse könnten Altbackwaren künftig beispielsweise ein interessanter Ausgangsstoff sein, um in Bioraffinerien einen Bio-Kunststoff und Bio-Kohle zu gewinnen. Aus dem Kunststoff könnten etwa Flaschen oder Synthetikfasern wie Nylon hergestellt werden, lautet die Vision am Fachgebiet Konversionstechnologien nachwachsender Rohstoffe unter der Leitung von Prof. Dr. Andrea Kruse. Die Bio-Kohle wiederum kann als Dünger und Bodenhilfsstoff wieder ausgebracht werden. So helfen die Altbackwaren, Getreide für neue Backwaren anzubauen – ein Kreislauf im Sinn der Bioökonomie.
Von Dagmar Behme
Foto: UFZ
Bioökonomie braucht die Politik
„Es bedarf einer inspirierenden Forschungsförderung“
Wie kann die Bioökonomie die Wirtschaft zukunftsfähig machen? Mit dieser Frage befasst sich die Leipziger Helmholtz-Forscherin Daniela Thrän seit Jahrzehnten. Als eine der Vorsitzenden des Bioökonomierates berät sie auch die Bundesregierung.